Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fesseln der Erinnerung

Fesseln der Erinnerung

Titel: Fesseln der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
Vom Netzwerk:
weh.“ Sophia erinnerte sich noch genau daran, wie hilflos sie waren, wie unfähig zu begreifen, was da geschah. „Carrie starb schon am ersten Tag. Sie war die Kleinste und Schwächste von uns.“ Und die Bestie hatte sie in seiner Ungeduld zerstört.
    „Danach ist er vorsichtiger vorgegangen. Bilar starb erst am dritten Tag.“ Er hatte sich vor Lin und ihr in Krämpfen gewunden, und sie hatten ihm nicht helfen können. Ihre Hände und Füße waren gefesselt, die Münder mit Klebeband verschlossen. Sophia hatte es gewagt, die Wut der Bestie herauszufordern und telepathisch ihre Hände ausgestreckt, denn sie hatte Bilar nicht einsam sterben lassen wollen. Seine Schreie hatten stundenlang in ihrem Kopf widergehallt.
    Max’ Griff um ihre Hände wurde fester. „Warum haben eure Eltern und die Aufpasser im Medialnet nichts von der Abartigkeit des Ausbilders bemerkt?“
    „Begreifst du das denn nicht, Max?“ Ihre Stimme zitterte. „Er war der perfekte Mediale.“ Silentium unterschied nicht zwischen denen, die konditioniert waren, keine Gefühle zu zeigen, und denen, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur keine Gefühle hatten.
    „Ist er tot?“ So leise, dass das ängstliche Kind erstarrte und sich fragte …
    „Ja.“ Da Max schwieg, erzählte sie, was weiter geschehen war. „Lin und ich waren noch übrig. Er war neun und ich acht.“ Ihr Herz fing an zu rasen, alles in ihr verkrampfte sich. „Die Bestie wollte uns nicht zu schnell zerstören, ging sorgsam vor. Aber eines Tages tat er mir etwas an, und ich reagierte nicht wie vorgesehen. Ich schrie nicht. Deshalb warf er mich kopfüber durch das große Glasfenster der Hütte.“ Schmerz, Blut, glitzernde Splitter im Sonnenschein, nichts davon würde sie je vergessen.
    „Das reicht, Sophie.“ Max’ Körper war so hart und starr, dass man ihn für einen Stein halten konnte, wenn sein Herz nicht so wild geschlagen hätte.
    „Ich möchte, dass du es erfährst. Bitte!“
    „Du brauchst mich nicht zu bitten, niemals“, entfuhr es ihm.
    „Lin hat mich gerettet“, sagte sie und ließ seine Worte tief in sich hinein. „Als die Bestie nach draußen ging, um zu sehen, ob ich noch lebte, schaffte er es irgendwie zur Kommunikationskonsole und gab die Notrufnummer ein.“ Dann war Lin, der talentierte Telepath, der in einem anderen Leben vielleicht ihr Freund geworden wäre, an seinen furchtbaren inneren Verletzungen gestorben. „Niemand erinnert sich mehr an sie. Aber ich denke oft an Carrie, Bilar und Lin. Jemand muss sie im Gedächtnis bewahren.“
    Jetzt bewegte sich Max. Er drehte sich um. Sie warf sich in seine Arme, war bereit, die Hitze und den Schmerz zu spüren. „Die Leute reden davon, dass die Medialen zerbrechen“, flüsterte er, „aber niemand spricht von den Opfern.“
    Er verstand sie, dachte Sophia, er verstand alles. „Wir sind ein genauso schmutziges Geheimnis wie die Bestien, die uns das angetan haben. Wir Überlebenden sind verdorbene Ware, werden nie wieder so vollkommen, wie wir einst waren. Meine Eltern haben mich abgeschrieben, die Sorge für mich an den Staat abgetreten. Ich habe sie im Krankenhaus gehört … sie unterhielten sich darüber, ob es nicht besser sei, mich einzuschläfern.“

24
    Ihrer Anfrage, Sophia Russo, minderjährig, Alter: 8, aus den amtlichen Familiendokumenten zu streichen, ist stattgegeben worden. Der Staat wird die Kosten für den Lebensunterhalt und die Ausbildung bis zur Volljährigkeit übernehmen. Für Sie entfallen alle weiteren Verbindungen oder Verpflichtungen bezüglich des Individuums.
    – endgültiger Beschluss des Komitees für
Genetisches Erbe, November 2060
    Max hielt sie so fest umschlungen, dass es fast wehtat. Aber es war genau richtig so, alles in ihr verlangte danach. Der verlorene, unwiederbringlich verletzte Teil von ihr hielt sich an ihm fest, begriff, dass sie trotz aller Defekte angenommen wurde. „Die Sache mit dem Anker“, sagte er, „hat dich gerettet. Weil es eine seltene Fähigkeit ist.“
    Sie nickte. „Als ich durch das Fenster flog, ist nicht nur mein Gesicht zerschnitten worden, auch mein Geist brach in Stücke.“ Das verängstigte Kind damals hatte begriffen, dass niemand sie retten und sie bald neben Carrie und Bilar verscharrt sein würde. „Aber mein Gehirn hat nicht aufgegeben. Es hat sich direkt mit dem Medialnet verbunden. Nur etwas so Großes wie dieses konnte den Rest meiner Psyche noch zusammenhalten.“
    „Ich bin verdammt stolz auf dich“, sagte Max

Weitere Kostenlose Bücher