Fesseln der Leidenschaft
obwohl die Lebensmittel schal und schimmelig wurden und die Untätigkeit den Männern schlechte Laune verursachte. Es war eine Zeit, in der die Frauen Dinge tun konnten, die sonst immer zu kurz kamen. Wandteppiche wurden gestickt und vor Saisonschluß fertiggestellt, Kleider für besondere Gelegenheiten im nächsten Jahr genäht, neue Talente entdeckt und Rezepte diskutiert und ausprobiert. Da alle Öfen brannten, war es ein warmer, gemütlicher Teil des Jahres, in dem Beziehungen sich stärker entwickelten. Wollte sich eine Frau den extremen Luxus leisten, einen ganzen Tag faul im Bett zu liegen, konnte sie auch das tun.
Reina machte es oft, einfach, weil ihr zierlicher Körperbau so viel zusätzliches Gewicht kaum tragen konnte. Ranulf neckte sie unbarmherzig wegen ihres Umfangs und behauptete, ihn so schön zu finden, daß er auch später für ein Beibehalten dieser üppigen Linie sorgen wolle. Erstaunlicherweise kam er öfter heim, als Reina erwartet hatte, zumal Sir Henry noch kämpfte. Ranulf erschien an jedem Festtag. Er war zur Dreikönigsfeier daheim, um den herrschaftlichen Dienern ihre Vergütungen zu überreichen: die Speisen, Kleider, Getränke und das Feuerholz, was zu ihren traditionellen Weihnachtsgeschenken zählte. Ranulf blieb diesmal bis zum Montag nach Dreikönig, an dem die Zinsbauern mit ihren Pflügen über die Gemeindewiese rasten, um zu bestimmen, wie viele Ackerfurchen jeder Mann im nächsten Jahr mit Aussaat bearbeiten konnte.
Aber Ranulf tauchte nicht auf, als Lichtmeß kam, der Feiertag Anfang Februar, an dem Reina ihren Mann fest erwartet hatte. Nun war es eine Woche später, und die junge Frau konnte jeden Tag ihr Baby bekommen, doch Ranulf erschien nicht. Er hatte versprochen, zur Geburt zu Hause zu sein, und nun befürchtete Reina, irgend etwas Schlimmes sei passiert.
Walter versuchte, ihr die Sorgen auszureden. Er hatte Ranulf bei dem Feldzug nicht begleitet und blieb auch ganz gern in Clydon, da er Florette gerade geheiratet hatte. Doch was wußte er von den Ängsten einer Frau? Und dennoch hatte er recht, wie Reina realistischerweise zugeben mußte.
Rothwell war geflohen, wie Ranulf vorausgesagt hatte, doch das bedeutete noch nicht das Ende des Kampfes. Sir Henry hatte entschieden, daß der gierige Alte eine Lektion verdiente, und seine Armee westwärts geschickt, um Rothwells Herrensitz zu belagern. Diese Belagerung fand nun seit zwei Monaten statt, allerdings ohne große Kämpfe.
Ranulfs vierzigtägige Dienstzeit war abgelaufen, doch was zählte das, wenn ein Mann das Soldatenleben genoß? Daß er noch geblieben war, um die Reihen zu füllen, hatte einen weiteren Streit mit Reina heraufbeschworen, den er natürlich gewann, und sie verzieh ihm natürlich. Der Bursche liebte einfach jede Herausforderung, und Reina würde sich wohl notgedrungen an diese Seite ihres gemeinsamen Lebens gewöhnen müssen. Im Lauf der Jahre würde es leichter werden. Es würde Zeiten geben, in denen er so viel daheim war, daß Reina vielleicht gern einmal allein sein würde. Und es würde Zeiten geben, in denen er wieder so spät nach Hause zurückkehrte, daß sie vor Angst fast verging. Es würde auch die Zeiten der Liebe geben, die für alles entschädigten.
Worüber wollte sie sich eigentlich beschweren? Daß Ranulf nicht rechtzeitig erschien, um die Geburt seines ersten Sohnes zu erleben, der pünktlich und ohne Komplikationen zur Welt kam? Sie würde ihrem Gatten deshalb Bescheid sagen! Aber als er ihr Zimmer eine Stunde nach der Niederkunft betrat und Reina sofort in die Arme nahm, war alles Negative vergessen.
Er war reuevoll und stolz in einem, und wie hätte sie ihn schimpfen können, nachdem er sie mit Liebe überschüttete? Seine Entschuldigung wegen des Zuspätkommens war stichhaltig. Lord Guy war endlich nach England zurückgekehrt und hatte Ranulf für ein erstes Treffen nach Shefford bestellt. Die Begegnung war sehr angenehm verlaufen. Der Lord hatte sogar angedeutet, daß er nichts dagegen hätte, Taufpate von Ranulfs und Reinas erstem Kind zu werden. Reina konnte nur lachen. Ihr Oberherr war sonst nicht zurückhaltend, was seine Wünsche betraf. Ranulf mußte ihn stark beeindruckt haben. Das hieß, daß Reina in dieser Hinsicht keine Bedenken mehr zu haben brauchte. Die kleine Täuschung ihres Vaters, die er ihr zuliebe inszeniert hatte, würde nie ans Tageslicht kommen, und sein letzter Wille war erfüllt. Reina hatte den Mann ihrer Wahl geheiratet, wie er es sich gewünscht
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