Fesseln der Leidenschaft
alles mögliche vermuten, nur nicht die Wahrheit; aber es gab eben Dinge, die konnte man nicht verbergen, und das wußte sie jetzt.
»Wenn Sie beabsichtigen … «, begann sie nervös, dann meinte sie: »Wollen Sie nicht zuerst die Vorhänge zuziehen?«
»Später«, entgegnete Ranulf.
Er schloß ihr den Mund mit seinen Lippen und bezog Position über ihr. Sie schmeckte so gut – wie konnte er das nur vergessen haben –, daß er es hinauszögerte, in sie einzudringen, bis ihre winzigen Hände tastend seinen Nacken umschlossen. Mit einem Stöhnen tauchte er in ihre Wärme. Sie fühlte sich so wundervoll an – wie konnte er auch das vergessen haben –, so eng, wie eine weiche Hand, die ihn innig drückte und tiefer in alle Wonnen hineinzog.
Ranulf hatte nie zuvor etwas Ähnliches verspürt. Natürlich hatte er auch noch nie eine Jungfrau wie diese besessen. Zum erstenmal in seinem triebhaften Leben wollte er sich Zeit nehmen für eine Frau, wollte der flüchtigen Verzückung nicht entgegenrasen.
Was nie mehr als ein körperliches Bedürfnis gewesen war – vergleichbar der Nahrungsaufnahme und Blasenentleerung schien irgendwie verwandelt, und Ranulf wollte die Empfindung genießen. Doch Wollen und Können stehen nicht immer in Einklang, und der Mann stellte fest, daß sein Körper sich nicht zurückhalten mochte. Es kümmerte ihn auch nicht länger, und er vergaß alle Rücksichtnahme, als er sich dem unglaublichsten Orgasmus seines Lebens entgegenkämpfte. Vage vernahm er ein markerschütterndes Keuchen, und es wurde ihm nicht bewußt, daß es sein eigenes war.
21
Das Schießscharten-Fenster umrahmte noch die Dunkelheit, und kühle Nachtluft sickerte durch die kostbaren Glasscheiben. Reina saß auf dem fellbedeckten Sitz. Sie umschlang die hochgezogenen Beine mit den Armen, ihr Kinn ruhte auf einem Knie. Gedankenverloren beobachtete sie den Himmel, der sich langsam von Mauve zu Blaßlila färbte. Ihr Mann schlief noch; er hatte die ganze Nacht friedlich geschlummert – von dem Moment an, als er von Reina heruntergerollt war. Die junge Frau war von Morpheus nicht so begünstigt gewesen.
Lange Stunden hatte sie neben Ranulf gelegen und seinem leisen, gleichmäßigen Atmen gelauscht. Sie hatte gehofft, er würde laut schnarchen, damit sie Grund zur Beschwerde gehabt hätte, da sie sich, was ihren tatsächlichen Kummer betraf, nicht beschweren konnte. Diese Befriedigung gab der Mann ihr nicht, wie er Reina auch vorher nicht befriedigt hatte. Sie war so nahe daran gewesen – an was? Sie war sich nicht sicher, doch es mußte etwas Angenehmes sein. Das schloß sie aus Ranulfs wollüstigem Gestöhne, als er ›es‹ erlebt hatte, was immer es war.
Ohne den Schmerz hatte sie diesmal andere Empfindungen gehabt; es war schön gewesen, diesen Teil von ihm in sich zu spüren. Sie hatte sich so seltsam gefühlt, aber nicht angstvoll, warm und träge zuerst, und das Flattern in ihrem Bauch hatte sich wieder bemerkbar gemacht. Dann intensivierte sich die Wärme, aus irgendeinem Grund wurde das Atmen schwierig, und etwas tief in ihrem Inneren begann sich aufzubauen. Es konzentrierte sich in ihren Lenden, etwas ganz, ganz Wundervolles. Und dann war es vorbei, und Reina hatte bittere Enttäuschung über das Ende dieses Gefühls verspürt. Sie war so frustriert, daß sie ihren sofort in Schlaf versunkenen Ehemann am liebsten geschlagen hätte.
Doch sie war nicht verrückt genug, das zu tun. Und die Frustration dauerte auch nicht lange. Andere Gedanken hielten Reina wach, Gedanken über das seltsame Gespräch, das sie und ihr Mann geführt hatten.
Wenn sie sich daran erinnerte, kam es ihr so unwirklich vor. Sie hatte nie geglaubt, daß Ranulf ihre nervöse Furcht beachten würde. Und er war so amüsant gewesen in der Annahme, er sei nicht anders als die übrigen Männer. Dabei war er nicht nur ein Riese, sondern auch noch ein überwältigend hübscher. Und zu behaupten, seine Ungeduld resultiere daraus, daß man ihm vorenthielt, was er haben wollte! Sie vielleicht? Sie konnte es nicht glauben.
Sie wußte, daß sie nicht schön war. Ihr Mund war zu breit und zu voll für ihr kleines Gesicht, ihr Haar zu schwarz, ihre Brüste zu winzig. Sie besaß eine schöne Haut – ihr einziger rettender Liebreiz –, und die Leute schienen immer zuerst ihre Augen zu bemerken. Ob das gut oder schlecht war, wußte sie nicht. An ihren vorteilhaften Tagen konnte man sie wahrscheinlich als attraktiv bezeichnen, doch das war geschmeichelt.
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