Fesseln der Nacht - Feehan, C: Fesseln der Nacht - Predatory Game
das Blut, das immer noch heraussickerte, obwohl schon Stunden vergangen waren, seit er sich die
Verletzung zugezogen hatte. »Ich habe dir doch gesagt, dass du vorsichtig sein musst. Wir geben dir Zenith. Das ist ein gefährliches Medikament.«
Eric hielt seine Hände hoch. »Ich wasche mir jetzt erst mal die Finger.«
»Sie wissen ja, wo das Bad ist.« Jesse wartete, bis er das Zimmer verlassen hatte. »Du hast mir beteuert, du würdest alles, was du über Saber gefunden hast, vernichten.«
»Ich habe es bereits getan.« Lily richtete sich auf und drückte ihren Rücken durch.
»Aber du hast Lambert von ihr erzählt?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Was heißt hier ›natürlich nicht‹?« Jesse nahm die Tablette, die sie ihm reichte. Er hatte starke Kopfschmerzen. Sie hatten den größten Teil des Vormittags im Krankenhaus verbracht und waren bei Patsy geblieben, während die Ärzte Untersuchungen durchgeführt und ihre Wunden behandelt hatten. Sowie sie wussten, dass sie in guten Händen war, und er einen Wachposten an ihre Tür abkommandiert hatte, waren Jesse und Saber nach Hause gefahren und hatten den ganzen Nachmittag auf Nachrichten von dem Aufräumkommando in Patsys Haus gewartet. Saber war immer noch nicht im Bett gewesen, und sie hatte immer noch die Absicht, arbeiten zu gehen. Das würde sie nicht tun, denn dafür würde er sorgen, aber sie brauchte dringend Schlaf und das galt auch für ihn. Er wünschte nur noch, sie würden alle fortgehen, damit sie allein waren und er sie in seinen Armen halten konnte.
Aber Saber irrte sich, was Eric Lambert anging. Er konnte die Wahrheit über sie nicht wissen. Jesse hatte sie ihm nicht gesagt, und von Lily hatte er auch nichts erfahren. Jesse seufzte erleichtert.
»Er ist keiner von uns.« Lily senkte den Kopf. »Das klingt furchtbar, Jesse, und ich meine es auch gar nicht so, wie es sich anhört, aber er könnte niemals unser Leben verstehen. Wenn Saber bleibt, wird für ihren Schutz gesorgt werden müssen. Aufgrund ihrer Fähigkeiten werden alle hinter ihr her sein, sogar die Guten – vor allem die Guten. Und was Whitney ihr als Kind angetan hat … Er hat sie gezwungen, Tiere zu töten, Tiere, die ein kleines Mädchen lieben und als Haustier haben wollen würde. Er hat sie in die Zwangslage gebracht, vollkommene Kontrolle über sich selbst haben zu müssen oder eine Freundin zu töten … ein anderes Kind … sogar Kleinkinder. Wie kann ein Kind ein derartiges Trauma bewältigen?«
Jesse freute sich zu hören, dass Lily von ihrem Adoptivvater als »Whitney« sprach. Sie fand sich endlich mit dem Umstand ab, dass er ein Monster und unrettbar verloren war, und sie begann sich gefühlsmäßig von ihm zu distanzieren. Jesse war sicher, dass es gut so war. »Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.«
»Darauf kämst du gar nicht, Jesse – du bist in einer liebevollen häuslichen Umgebung aufgewachsen. Saber kann nicht gewusst haben, was eine Mutter und ein Vater sind, sie wird es erst Jahre später erfahren haben. Ihre Kindheit hat nur aus ihrer Ausbildung bestanden, aus hartem Training. In ihrem Leben hat sich alles um strenge Vorschriften und um ständiges Lernen gedreht. Was glaubst du wohl, wie diese ersten Jahre waren?«
Er schämte sich zuzugeben, dass er sich darüber nicht viele Gedanken gemacht hatte – jedenfalls nicht, bis er die Fotos aus ihrer Kindheit gesehen hatte.
»Es ist erstaunlich, dass sie überhaupt noch bei dir ist, dass sie lernen konnte, jemandem so sehr zu vertrauen,
wie sie dir vertraut. Du bist wahrscheinlich der erste Mensch, dem sie sich jemals anvertraut hat oder den sie einen Teil der echten Saber hat sehen lassen.«
Sie schaffte es, dass er sich von Minute zu Minute elender fühlte. Er hatte nicht über Sabers Trauma nachdenken oder sich auch nur eingestehen wollen, dass sie eine Bedrohung für ihn darstellte, wenn sie bei ihm blieb, denn er wollte sie nicht verlieren. »Wahrscheinlich ist sie paranoid, aber sie bildet sich ein, Eric wüsste über sie Bescheid.«
Lily erstarrte. »Jesse. Wie kommst du dazu, an ihr zu zweifeln? Sie ist in einer Welt aufgewachsen, die nicht einmal du begreifen kannst. Sie muss sehr feinfühlig sein. Wir wissen nicht einmal annähernd, was sie mit ihren Fähigkeiten tun kann. Wenn ein Schattengänger etwas ›glaubt‹, dann ist es höchstwahrscheinlich wahr. Du brauchst dir doch nur dich selbst anzusehen. Bevor du in diesem Rollstuhl gesessen hast, hattest du deine
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