Fesseln der Nacht - Feehan, C: Fesseln der Nacht - Predatory Game
zu verstehen, dass sie verschwinden sollten, denn in diesem Moment war es sein größtes Anliegen, dass Saber sich in dem Haus wohlfühlte. Er wollte, dass sie sich sicher und geborgen fühlte und ihr Haus als einen Zufluchtsort ansah, als einen sicheren Hafen, den sie jederzeit anlaufen konnte.
Es änderte nichts, dass Erics Argumente auf eine gespenstische Weise einleuchtend waren. Ihm war das ganz egal.
Vielleicht würde sie eines Tages genug von ihm haben und ausbrechen wollen, aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Saber jemanden um des Tötens willen tötete. Sie verabscheute es. Sie hatte Angst davor, Fehler zu machen. Sie war nicht die Mörderin, für die Eric sie hielt.
Saber wartete, bis der letzte Schattengänger fortgegangen war. Sie waren nur widerstrebend abgezogen, und sie musste davon ausgehen, dass Jesse sie fortgeschickt hatte. Dennoch wartete sie bis zum Einbruch der Dunkelheit, bevor sie sich wieder ins Haus begab, und selbst dann schlich sie sich hinein, weil sie ihn nicht sehen wollte. Er war der einzige Mensch auf Erden, den sie je als einen Freund bezeichnet hatte, der einzige Mensch, den sie jemals geliebt hatte, aber wie hätte er diese Dinge über sie hören können, ohne Zweifel zu haben? Sogar sie selbst zweifelte an sich.
Einen Moment lang blieb sie stehen, schlug sich die Hände vors Gesicht und lauschte Jesses Atem, seinem Herzschlag. Sie konnte ihm nicht gegenübertreten. Vielleicht
würde sie nicht den Mut aufbringen, ihm jemals wieder ins Gesicht zu sehen.
Sowie sie im oberen Stockwerk ankam, begann Saber ihre Kleidungsstücke von sich zu werfen. Sie hatte beim besten Willen nicht aufhören können zu weinen und war von ihren Tränen und dem Regen klatschnass. Sie benutzte das zweite Badezimmer und mied ihr eigenes Zimmer gänzlich. Obwohl der Aufräumtrupp jegliche Spuren entfernt hatte, war ihr die Vorstellung unerträglich, dass jemand dort eingedrungen war und ihre persönlichen Dinge angefasst hatte.
Sie stellte sich unter die Dusche und ließ das dampfende Wasser in Strömen über sich rinnen und ihre kalte Haut wärmen, obgleich es gegen das Eis tief in ihrem Innern nichts ausrichten konnte. Sie war wütend auf Jesse und auf seine Freunde, aber mehr noch war sie wütend auf sich selbst. Was hatte sie denn erwartet? Dass alle sie mit offenen Armen aufnehmen würden? Dass sie in ihren Reihen willkommen sein würde? Dass sie sich irgendwo einfügen konnte?
Sie war noch nicht einmal sicher gewesen, ob sie all das überhaupt wollte. Okay, das stimmte nicht. Sie hatte sich davor gefürchtet , es zu wollen. Sie hätte sich keine Hoffnungen machen dürfen. Hoffnung war etwas für Narren. Hoffnung war etwas für Menschen, nicht für Monster.
Ein Beben durchzuckte sie, und ihre Brust schmerzte unter der drückenden Last eines starken, heftigen Gefühls. Das Brennen in ihrer Kehle wollte nicht vergehen, ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte, dagegen anzuschlucken. Sie lehnte sich an die Kacheln. Ihre Knie waren weich, und ihre Beine zitterten so sehr, dass sie fürchtete, sie würden unter ihr nachgeben.
Eine Stunde später lag Saber auf dem Sofa, das auf dem oberen Treppenabsatz stand, und starrte die Decke an. Ihre kleine Lampe zerstreute zwar das Dunkel, gab ihr aber so gut wie keinen Trost. Seufzend glitt Saber von der Liegefläche, schlang ihre Arme um ihre Taille und zog Jesses Hemd eng um ihren Körper. Barfuß tappte sie durch den Flur, um sich auf die oberste Stufe zu setzen, da sie Jesses Nähe brauchte, aber keine Konfrontation wollte. Die Situation war ja doch aussichtslos.
Unter ihr tauchte etwas aus den Schatten auf. Jesse. Saber konnte den Umriss seines Rollstuhls teilweise erkennen sowie eine kräftige Schulter und einen Arm. Sein Gesicht war noch in der Dunkelheit verborgen. Sie hätte sich ja denken können, dass er sich am unteren Ende der Treppe aufhalten würde, da auch er das Gefühl von Nähe brauchte. Das Wissen, dass er da war, spendete ihr ein gewisses Maß an Trost.
»Warum kommst du nicht runter?«, schlug er leise vor.
»Ich kann nicht, Jesse«, erwiderte Saber mit gedämpfter Stimme. Ihre Kehle war noch wund von ihrem herzzerreißenden Schluchzen. »Ich kann es einfach nicht.«
Kurze Zeit herrschte Stille. Rote Glut und das Aroma von Pfeifentabak, das die Treppe hinaufwehte, gaben einen Hinweis auf seine Gemütsverfassung. »Es lässt sich nicht aus dem Weg räumen, wenn wir nicht darüber reden. «
Saber rieb
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