Fesseln der Sehnsucht
Wortes Liebe würde etwas von ihm fordern, wozu er noch nicht bereit war. Sie nahm sich vor, ihre Gefühle so gut wie möglich im Zaum zu halten und geduldig abzuwarten, bis er sich dazu überwinden konnte, ihr zu sagen, was sein Herz quälte. Nach allem, was er letzte Nacht gesagt und getan hatte, wusste sie, dass er für sie mehr als nur Sympathie empfand. Er hatte ihr gesagt, er brauche sie. Und es hatte unendlich gut getan, dies von ihm zu hören!
Sie zwang sich, eine Alltagsmiene aufzusetzen, und trug die dampfende Kaffeetasse vorsichtig ins Badezimmer, um nichts zu verschütten. Heath hatte den Kopf auf den abgerundeten Rand der Emailwanne gelegt und die Augen geschlossen, als sei er wieder eingeschlafen. Lucy setzte sich auf einen Hocker neben ihn. Heath öffnete blinzelnd ein Auge und griff nach der Tasse; er nippte daran, nahm noch einen Schluck und gab sie ihr wieder zurück. »Gar nicht schlecht«, brummte er und nahm Seife und Schwamm zur Hand.
»In ein paar Minuten wird der Gedanke an ein Frühstück vielleicht, angenehmer sein.«
»Darauf würde ich nicht wetten.«
Sie lächelte mitfühlend.
Heath widmete sich eingehend der Aufgabe, sich einzuseifen. »Hoffentlich hab ich nicht zu viel Unsinn geredet gestern Abend«, meinte er leichthin. »Ich erinnere mich kaum noch daran.«
Lucy schob alle quälenden Gedanken an Raine – wer immer sie sein mochte – von sich. Im Übrigen war es völlig gleichgültig, wer diese Raine war, schließlich gehörte sie in Heath’ Vergangenheit, Lucy aber war seine Ehefrau.
Sie war seine Gegenwart und seine Zukunft und sie würde sich durch nichts und von niemandem ihr Glück zerstören lassen.
»Nein«, antwortete sie ebenso leichthin. »Du hast nicht viel geredet.«
»Aha.« Die Erleichterung stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben. Lucy genoss den Anblick seines sehnigen Körpers, als er sich Brust und Arme einschäumte und mit Wasser nachspülte. Nach einer Weile nahm er wieder einen Schluck Kaffee und lächelte schief.
»Erinnerst du dich, wie du mir gesagt hast, ich sei verrückt, als Südstaatler eine Zeitung in Boston herausbringen zu wollen? Wahrscheinlich hast du …«
»Ich habe mich geirrt.«
»Ach?«
»Total geirrt.«
Er beäugte sie skeptisch. »Irgendetwas scheint mir entgangen zu sein. Wann hast du deine Meinung geändert?«
»Nachdem ich anfing, die Zeitung zu lesen. Deine Ideen gefallen mir. Mir gefällt auch die neue Aufmachung der Zeitung und anderen Leuten wird es ebenso ergehen. Ich bin sicher, ihr werdet Erfolg haben und Gewinn damit machen, wenn ihr noch ein paar Anzeigenkunden bekommt.«
Der Faltenkranz um seine Augen vertiefte sich im Anflug eines Lächelns. »Dein Vertrauen ehrt mich.
Bedauerlicherweise wird die Zeitung in einem zweiten Bürgerkrieg eingehen.«
»Dann müsst ihr einen Kompromiss finden. Ich hatte nicht den Eindruck, dass du bislang ernsthafte Meinungsverschiedenheiten mit Damon hattest.«
»Und ob wir die hatten. Sie alle rühren daher, dass wir völlig unterschiedliche politische, soziale und moralische Überzeugungen haben.«
»Du übertreibst.«
»Du kennst Damon nicht gut genug«, entgegnete Heath düster. »Sonst wüsstest du, dass der gegenwärtige Konflikt sich wiederholen wird. Im Grunde geht es gar nicht um das, was gestern in Georgia passiert ist. Es geht vielmehr darum, dass seine Überzeugungen sich nicht mit meinen decken und wir niemals zu einer Einigung kommen können.«
»Aber es gibt doch Themen, in denen ihr euch einig seid. Keiner von euch will eine Fortsetzung des Krieges. Das musst du ihm verständlich machen. Schließlich hast du eine große Überzeugungsgabe. Ich weiß, dass du ihn dazu bewegen kannst, einen gemäßigteren Standpunkt einzunehmen.«
»Versuchst du, deine Überzeugungsgabe an mir auszuprobieren?« Heath zog den Stöpsel und griff nach dem Badetuch, als das Wasser gurgelnd abfloss. Er rieb sich das Haar einigermaßen trocken, stieg aus der Wanne und schlang das Tuch um die Hüften. »Und wenn ich ihn nicht dazu bewegen kann, den Leitartikel umzuschreiben? Wenn ich ihn selber schreibe, geht er.«
»Dann lass ihn gehen.«
»Ohne ihn geht die Zeitung vermutlich zugrunde.«
»Dann ist es auch sein Verlust. Mir geht es nur um dich. Du musst das tun, was dir deine Selbstachtung und deine Überzeugungen gebieten. Du würdest dir nie verzeihen, wenn du das Gefühl hättest, deine Überzeugung und deine Landsleute zu verraten. Es ist deine Zeitung. Leite sie so, wie du
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