Fesseln der Sehnsucht
seit Wochen nicht. »Ich bin froh, dass wir gestern Abend zu Hause geblieben sind. Den Schlaf habe ich anscheinend dringend gebraucht.«
»Du brauchst immer noch Ruhe. Du scheinst zu denken, einmal ausschlafen reicht aus, um die Wochen, in denen du deine Gesundheit vernachlässigt hast, vergessen zu lassen. Das ist ein Irrtum!« Lucy war so empört über seinen Leichtsinn, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste, als ihn auszuschimpfen. »Wenn du heute Abend nicht rechtzeitig nach Hause kommst und wenn du deine Versprechen nicht hältst dann …«
»Hör auf zu schimpfen, Süße.« Heath drückte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und war zur Tür hinaus.
Mit geballten Fäusten schrie Lucy ihm nach: »Und was ist mit Frühstück?« Sie erschrak selbst über ihre schrille Stimme.
Sein heiseres Krächzen kam vom Flur durch die geschlossene Tür. »Keine Zeit, Süße. Bis heute Abend.«
Obwohl Heath munter und erfrischt aufgestanden war, hielt seine gute Stimmung nicht lange an. Im Büro setzte er sich an den Schreibtisch, um zu lesen. Ein leichter Druck im Kopf wuchs sich zu einem brüllenden Kopfschmerz aus, bis ihm der Schädel zu platzen drohte. Dazu gesellten sich Gliederschmerzen und eine bleierne Schwere. Heath versuchte, sich auf den Artikel zu konzentrieren, den er las, bis ihm Wörter und Buchstaben vor den Augen tanzten. Verbissen arbeitete er weiter bis gegen Mittag, als Damons vertrautes Klopfen zu hören war. Jedes Klopfgeräusch vibrierte schmerzhaft in seinem Schädel.
»Du musst nicht gleich mit dem Hammer gegen die Tür schlagen«, knurrte er, als Damon das Büro betrat.
»Entschuldige die Störung. Ich wollte nur den morgigen Leitartikel mit dir durchgehen.«
»Ich erinnere mich nicht, dass wir darüber sprechen wollten.« Heath rieb sich die Augen. »Worüber geht es darin noch mal … um Hiram Revels?«
»Nein. Der war gestern dran.« Damon fixierte seinen Partner mit seinem kühlen, durchdringenden Blick, der Heath plötzlich lästig war. »Diesmal geht es um die kubanische Rebellion«, fuhr Damon bedächtig fort. »Ich will Minister Fish darin danken, den Präsidenten davon abgebracht zu haben, die Kubaner als Kriegshetzer zu diffamieren. Und ich finde, wir sollten ein paar kritische Bemerkungen über die spanische Regierung anfügen. Damit würden die Kubaner Sympathien gewinnen.«
»Gut, gut. Mach ruhig.«
»Einverstanden.« Damon wandte sich zum Gehen. »Hat deine Frau es geschafft, dich gestern Abend im Haus zu halten?«
»Offenbar«, entgegnete Heath heiser.
»Recht so. Du hast dir in letzter Zeit zu viel zugemutet. Sei unbesorgt, du hast gestern Abend nichts versäumt. Du kannst ruhig die Zügel ein wenig locker lassen. Ich spring gern für dich ein.«
Heath hob den Kopf, als habe er nicht richtig gehört. Seine Augen glänzten unnatürlich flackernd im Fieber.
Damon erschrak sichtlich.
»Grundgütiger!« Für einen Menschen, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, war dieser leise Ausruf mit dem lauten Entsetzensschrei eines anderen gleichzusetzen. »Du bist krank. Ich lasse dich mit der Droschke nach Hause bringen.«
»Sei kein Narr. Ich brauche nur … einen Schluck Wasser.« Heath ließ den Kopf auf den angewinkelten Arm auf dem Schreibtisch sinken.
»Und er nennt mich einen Narren«, murmelte Damon. »Fabelhaft.« Er verließ das kleine Büro und war keine fünf Minuten später zurück. Heath, der den Kopf immer noch in die Armbeuge gebettet hatte, hätte geschworen, es sei mehr als eine Stunde vergangen. »Der Wagen wartet unten«, sagte Damon. »Ich hole lieber Hilfe, alleine schaffe ich dich nicht hier raus.«
»Ich kann alleine gehen«, krächzte Heath. Er hob den Kopf und starrte Damon mit fiebrig verschwommenen Augen an.
»Du brauchst Hilfe.«
»Nicht … vor den anderen.«
Der unbesiegbare Heath Rayne wollte vor seinen Mitarbeitern nicht als Schwächling dastehen. Damon war versucht, mit ihm zu streiten. Es war unverantwortlich, ihn alleine gehen zu lassen. Damon respektierte aber auch seinen Südstaatenstolz, dem er insgeheim sogar eine gewisse Bewunderung zollte; im Übrigen wusste er, dass Heath ihm niemals verzeihen könnte, wenn er seinen Wunsch nicht beachtete.
»Na schön. Versuch getrost, allein zu gehen«, meinte Damon. »Aber ich bleibe an deiner Seite. Und wenn du auf mich fällst und ich mir einen Knochen breche, kriegst du einen Prozess an den Hals, den du so schnell nicht vergisst.«
Heath murmelte etwas nicht sehr
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