Fesseln der Sehnsucht
dir der Artikel wirklich?«
»Ich will dir nicht schmeicheln.« Heath blickte sinend auf die Blätter, immer noch verblüfft von ihre präzisen Schreibstil. Er war stolz auf sie. »Eigentlich sollte ich mich schämen, dass ich erstaunt bin.«
»Schämen?«
»Ich dürfte nicht erstaunt sein, dass solche Talente in dir schlummern.« Heath stand auf, trat auf sie zu und hob das Kinn mit dem Zeigefinger. Wusste sie eigentlich, wie sehr sie sich seit ihrer Hochzeit verändert hatte? Vor einem Jahr hatte er geahnt, dass sie etwas Besonderes war, und dieses Gefühl hatte ihn zu ihr hingezogen.
Mittlerweile hatte sich diese vage Ahnung bestätigt. »Du bist wunderbar.« Heath lächelte träge. »Tust du mir einen Gefallen, Lucy?«
»Was?«
»Lass nie zu, dass ich in dir nur meine … Spielgefährtin sehe.«
»Besteht die Gefahr?«
Er warf einen anzüglichen Blick zum Bett hinüber. »Ich fürchte, da ich einige deiner Talente so sehr schätze, könnte ich andere möglicherweise übersehen.«
»Kann ich dich als meinen Spielgefährten sehen?«
»Jederzeit«, entgegnete er schmunzelnd, schob ihr den Morgenmantel von den Schultern, streichelte ihren Busen mit den Daumen und entlockte ihr ein schwaches Stöhnen. »Bist du müde vom vielen Reden?«, flüsterte er und knabberte an ihrem Ohrläppchen. »Dann komm ins Bett, Cinda. Ich zeig dir ein neues Spiel.« Lucy folgte ihm willig, betört von seinem verheißungsvollen Lächeln.
Lucys Artikel wurde im Examiner gedruckt und bald wurde sie von Heath ermuntert, einen zweiten zu schreiben.
Dieser zweite Versuch war wesentlich schwieriger als der erste. Als sie aber feststellte, wie bereitwillig Heath auf ihre zögernden Fragen einging, verlor sie ihre Scheu, ihn um Hilfe zu bitten. Sie akzeptierte seine Verbesserungen und sogar schweren Herzens den Vorschlag, einen Absatz völlig zu streichen.
Heath hatte die Fähigkeit, ihr das Umschreiben eines Artikels zum Vergnügen statt zur Strafe zu machen. Kein Wunder, dass Damon seine Fähigkeiten als Redakteur gelobt hatte.
Heath hatte zudem die Gabe, sich klar und präzise auszudrücken, und das war ein sehr wertvolles Talent. Die meisten Journalisten hatten Schwierigkeiten, präzise in Worte zu fassen, was sie meinten. Nicht so Heath.
Er wusste genau, was er seinen Lesern mitteilen wollte und er konnte sich verständlich machen. Der Examiner sollte exakt diese Einstellung wiedergeben: beherzt, risikofreudig und getrost ein wenig marktschreierisch. Heath verlangte Mut und Risikokunde von seinen Reportern und er verlangte von ihnen, über Sachverhalte zu berichten, von denen »die anderen Reporter der anderen Blätter« noch nicht einmal gehört hatten. Seine Vorstellungen von zeitgemäßer Berichterstattung waren radikal im Vergleich zu den üblichen Gepflogenheiten. Der Examiner forderte von seinen Reportern etwas bisher nie Dagewesenes: Wartet nicht darauf, bis Nachrichten passieren, sondern geht hinaus, findet sie, macht sie, schreibt sie auf. Einige Reporter begriffen, was Heath von ihnen wollte, und bemühten sich, seine Erwartungen zu erfüllen.
Lucy verstand sein Sprachgefühl, seine Ideale und seine Arbeitsweise besser als seine Reporter. Ein Zeitungsmann war traditionell ein Zeuge der Zeit, in der er lebte. Lucy aber wusste, dass Heath mehr wollte, ob wohl er das nicht laut aussprach. Er wollte in der Lage sein, Ereignisse, Menschen und Entscheidungen durch die Macht des geschriebenen Wortes zu beeinflussen. Seine politischen Ideale ließen sich nur auf diese Weise verwirklichen, wie er meinte. Sein oberstes Ziel war, den Examiner zur mächtigsten Zeitung der Stadt zu machen. Lucy glaubte, dass ihm dies gelingen könnte, und sie wollte ihren Beitrag dazu leisten. Sie hatte Talent zum Schreiben und ihr wachsendes Selbstvertrauen würde ihr dabei behilflich sein. Was aber noch wichtiger war: Sie hatte Beziehungen zu einflussreichen Bürgern der Stadt, auf die weder Heath noch Damon Zugriff hatten – nicht die ›hohen Tiere‹ persönlich, sondern deren Ehefrauen.
Immer wieder erwies sie sich als zuverlässige Informantin, wie etwa an jenem Tag, als niemand dem Bundessenator ein einziges Wort über die beantragte Übernahme der Fährbetriebe durch die Stadt Boston zu entlocken vermochte. Bei einem Tässchen Tee in ihrem Club und nach einigen scheinbar harmlosen Fragen erhielt Lucy von der Gattin des Senators wichtige Einzelheiten über das Projekt. Auch von anderen Damen ihres Bekanntenkreises erfuhr sie, wer
Weitere Kostenlose Bücher