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Fesseln der Sehnsucht

Fesseln der Sehnsucht

Titel: Fesseln der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Happen zu essen und sich wenigstens für ein paar Minuten hinzulegen. Wie aber könnte sie Schlaf finden in dem Wissen, dass Heath ihr von Stunde zu Stunde mehr entglitt?
    Oft schien er sich ins Gefangenenlager auf Governor’s Island zurückversetzt zu fühlen. Beim ersten Mal, war Lucy dabei, ihm ein feuchtes Tuch auf die Stirn zu legen. Er starrte sie aus glasigen Augen an. Lucys Herz krampfte sich zusammen, da er sie nicht zu erkennen schien.
    »Wasser«, krächzte er. Sie legte ihm die Hand in den Nacken, stützte ihm den Kopf und führte ihm den Becher an die Lippen. Heath trank durstig, dann entfuhr ihm ein Laut des Abscheus; er würgte, als habe sie ihm Gift eingeflößt. »Wieso bekommen wir … diese … ekelhafte Brühe«, keuchte er. »Wir … sind … doch keine Tiere.«
    Erschrocken nahm sie den Becher fort und wich vor dem Hass in seiner Stimme zurück. Heath zitterte haltlos.
    »Keine Decken … Sehen Sie denn nicht … dass diese Männer sterben. Dreckiges Yankee-Pack … Ihr stehlt unser Essen … und verhökert es, um euch zu bereichern … und wir bekommen nur Sehnen und Knorpel.«
    Er wähnte sich im Gefangenenlager der Union.
    »Papier …«, ächzte er. »Papier.«
    Lucy begriff nicht, was er wollte.
    »Mehr Papier. Ich … bezahle …«
    Er bat um Papier für seine Notizen, die er im Krieg angefertigt hatte. Als er nicht aufhörte zu schimpfen, liefen Lucy die Tränen übers Gesicht. »Heath«, schluchzte sie. »Ich bin es doch … Lucy! Ich liebe dich. Erkennst du mich nicht?«
    Ihr Schluchzen schien seine Ohren zu erreichen, denn er beruhigte sich und warf sich ruhelos auf dem Kissen herum. »Hör auf«, murmelte er. »Weine nicht.«
    »Ich kann nichts dafür …«
    »Bitte, Raine, ich tue alles für dich. Geh nicht. Raine … du weißt, wie sehr ich dich brauche. Tu es nicht …«
    Lucy erbleichte. Ihr war, als habe sie ein Faustschlag in die Magengrube getroffen. Wieder diese Raine. Der Schmerz in Heath’ Stimme bohrte sich tief in Lucys Herz. Sie wischte sich mit einem Tuch die Tränen vom Gesicht und presste es gegen die Augen. »Mama, ich bin siebzehn …«, stammelte er. »Ich bin erwachsen. Ich weiß, was du denkst … Mama … aber ich liebe sie.« Und dann ein hohles Lachen. »Sie ist schön. Das kannst du nicht bestreiten …«
    Lucys Rücken schmerzte, als sie sich über ihn beugte und ihm das feuchte Tuch auf die Stirn legte.
    »Raine …« Er schlug nach dem Tuch und packte sie am Handgelenk. »Zum Teufel mit dir. Du liebst ihn nicht … O Gott …« Seine Finger krallten sich um ihr Handgelenk, bis Lucy sich ihm entzog. Heath bäumte sich auf; er schrie laut und krampfte die Finger um seine Stirn. »Ich wollte dir nicht wehtun. Ich wollte dir nicht wehtun.«
    Gütiger Gott, dachte Lucy benommen. Hilf mir, dies durchzustehen.
    »Mrs. Rayne, Mr. Redmond möchte Sie sprechen.«
    Lucy schwappte sich Wasser ins Gesicht und griff nach dem Handtuch. Die Krankenschwester hatte soeben die Wache an Heath’ Bett übernommen.
    »Ich müsste mich umziehen«, murmelte Lucy und blickte geistesabwesend an sich herab. Sie fühlte sich verschwitzt und müde. Haarsträhnen hingen ihr in Stirn und Nacken.
    »Er sagt, er wolle Sie nur kurz sprechen«, meinte Bess. »Es ist wegen der Zeitung.«
    »Dann bleibt mir wohl keine Zeit, mich umzuziehen. Bringen Sie mir einen Kamm. Rasch!«
    Wie betäubt kämmte Lucy sich flüchtig, ehe sie nach unten ging. Damon erhob sich, als sie den Salon betrat. Er trug einen eleganten dunklen Anzug und war gepflegt wie immer. Bei seinem Anblick empfand Lucy ein seltsames Gefühl von Trost. Er wirkte ausgeglichen und Vertrauen erweckend und die albtraumhafte, unheilvolle Schwere, die über dem Haus lastete, schien für einen Augenblick zu weichen. In seinem Gesicht las sie weder Verwunderung noch Abscheu über ihr Aussehen, nur Ruhe und Verständnis.
    »Verzeihen Sie, wenn ich ungelegen komme.«
    Lucy nickte nur stumm.
    »Hat sein Zustand sich gebessert?«
    »Nein.«
    »Jemand aus Ihrer Familie sollte bei Ihnen sein. Soll ich jemanden verständigen?«
    »Es gibt nur meinen Vater. Er wäre mir keine Hilfe. Ich … ich möchte ihn im Augenblick nicht sehen.« Lucy überlegte, ob sie ihre Ablehnung höflicher hätte formulieren sollen. Vielleicht versündigte sie sich, ihren Vater nicht bei sich haben zu wollen. Lucas hatte sich nie wirklich mit Gefühlen auseinander gesetzt, nicht mit seinen eigenen und nicht mit den Gefühlen anderer. Er war

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