Fesseln der Sehnsucht
sein Geschäft. Das ist alles, was ihn interessiert. Sein Laden und seine Kundschaft, mehr will er nicht.
Natürlich hat er mich gern, aber das ist etwas anderes. Du hingegen hast deine große Familie mit Brüdern und Schwestern. Ihr habt euch alle gern, helft einander, ihr haltet zusammen.«
»Aber du gehörst doch auch zur Familie …«
»Ich bin eine Außenseiterin«, beharrte sie eigensinnig. »Ich will eine eigene Familie. Ich bin eine Frau, die dir so viel geben kann. Aber du lässt es nicht zu. Ich …« Sie zögerte, ehe es hastig aus ihr heraussprudelte. »Ich will dir nahe sein und dich so lieben, wie eine Frau ihren Ehemann liebt. Ich will keine heimlichen Küsse mehr auf der Veranda tauschen und Händchen halten, wenn niemand uns sieht.«
Daniel bekam rote Ohren, als er begriff, was sie ihm sagen wollte. »Lucy, sei still. Du weißt gar nicht was du redest.«
»Ich will dir gehören; so wie ich niemand anders gehöre. Ich will nicht länger warten. Nicht, wenn du die Hochzeit wieder um Jahre verschiebst.«
»Gütiger Himmel.« Daniel nahm die Hände von ihr und lachte nervös. »Ich hätte nie vermutet dass du so denken könntest, Lucy.«
»Natürlich denke ich so. Alle Frauen denken so, ob sie es zugeben oder nicht.«
»Aber wir dürfen es nicht tun. Ich will, dass du unberührt in die Ehe gehst, so wie es sich für eine anständige Braut schickt.«
»Du bist immer so besorgt darum, was sich schickt«, entgegnete Lucy tonlos. Das leidenschaftliche Funkeln war aus ihren Augen gewichen. »Wieso kannst du die Dinge nicht nehmen, wie sie sind? Warum kümmerst du dich nicht um meine Gefühle?«
»Du musst nicht mehr lange warten. Wir legen einen Termin fest …«
»Bald. Ich weiß.«
»Ich verspreche es dir.« Er neigte den Kopf, um sie auf die Stirn zu küssen. Doch Lucy schlang ihm die Arme um den Hals und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Ihr junger, fiebernder Körper schmiegte sich sehnsüchtig an ihn. Daniel versteifte sich erschrocken, dann schlang er die Arme um sie und erwiderte ihre heißen Küsse. Lucy erbebte triumphierend, presste sich enger an seinen muskelgestählten Körper und spürte eine schwellende Härte an ihrem Leib, den Beweis seines Verlangens nach ihr.
Augenblicklich entzog Daniel sich ihrer Umarmung. Sein Gesicht hatte sich verlegen gerötet. »Lass das, Lucy«, wehrte er heiser ab. »Ich sagte dir, wir wollen warten.«
Einerseits frohlockte sie innerlich, ihn aus der Fassung gebracht zu haben – wenigstens wusste sie jetzt, dass sie nicht alleine war mit ihrem unerfüllten Verlangen –, andererseits war sie tief enttäuscht. Wenn Daniel sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er sich durch nichts beirren. »Einverstanden«, murmelte sie und senkte beschämt den Blick.
»Du musst lernen, weniger impulsiv zu sein. Es fällt mir schwer genug, dir zu widerstehen und die Situation nicht auszunutzen. Aber ich habe große Hochachtung vor dir, Lucy Und irgendwann wirst du das begreifen und mir dankbar dafür sein.«
»Vermutlich.«
»Ich weiß, dass es so ist.«
Der Schnee des letzten Februarsturms begann zu schmelzen. Die hohen Schneewehen unter den kahlen Ulmen an der Hauptstraße festigten sich zu vereisten Hügeln. Lucy half ihrem Vater im Laden, in dem es viel zu tun gab, da die, Leute ihre Vorräte aufstockten, nachdem sie eingeschneit waren. Es wurde alles gekauft, Kaffee und Tee, Bienenwachs und Seifenflocken, Mehl, Salz und Zucker. Es blieb ihr wenig Zeit, um an Heath Rayne zu denken und an das kleine Haus am anderen Flussufer, in dem sie zwei Tage verbracht hatte. Doch gelegentlich befielen sie ungebetene Erinnerungen an den fremden Südstaatler; die seltsam türkisblauen Farbe seiner Augen, die Art, wie er sie ›Süße‹ genannt hatte, sein trockener, gelegentlich hintergründiger Humor. Es störte sie, wenn sie im Beisein von Daniel an Heath dachte, da sie gezwungen war, sich in Ausreden für ihr Erröten oder ihr Schweigen zu flüchten.
Am Samstagvormittag hatten Daniel und seine Freunde sich wie üblich um den großen Kachelofen versammelt, rauchten Zigarren, die General Grant in Mode gebracht hatte, und erzählten sich Geschichten von den siegreichen Schlachten, an denen sie teilgenommen hatten. Lucas Caldwell polierte die Glasvitrine, in denen die Jagdmesser ausgestellt waren, während Lucy Mrs. Brooks bei der Auswahl eines Stoffes für ein Werktagskleid half. Nachdem Mrs. Brooks gegangen war, klingelte die Ladenglocke erneut. Lucy, die
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