Fesseln der Sünde
wenigen abgehärteten Seelen, die einen Spaziergang entlang der Strandpromenade machten, schenkten Gideon und Charis keine Beachtung.
Bisher hatte sich der Spaziergang als sehr ruhig erwiesen. So wie der ganze Tag.
Zur Hölle, was konnte er nach dem Gefühlsausbruch von gestern Nacht noch sagen? Sein Magen zog sich vor Beschämung zusammen, als er sich an sein Verhalten während und nach ihrer freudlosen Vereinigung erinnerte. Wie sollte er ertragen, auf dieses düstere Meer der Qual noch einmal zurückzukommen? Oder was noch entsetzlicher wäre: Wie sollte er sein plumpes Vorgehen entschuldigen, mit dem er sich ihres Körpers bedient hatte?
Die Stille zwischen ihnen wog schwer wie Blei und bestand aus dem, was sie bewusst nicht ansprechen wollten.
Charis drehte sich dem Wind zu und blieb kurz stehen, um über die grauen, sich brechenden Wellen zu sehen. Die steife Brise ergriff ihre Haube, und sie hob eine behandschuhte Hand, um sie festzuhalten.
Zumindest war sie angemessen gekleidet. Er hatte heute Morgen eine Modistin kommen lassen und eine Garderobe für seine Braut bestellt. Das bezaubernde gelbe Ensemble, das Charis trug, war schnell nach ihren Maßen geändert worden. Weitere Kleidungsstücke würden im Laufe der nächsten Woche eintreffen.
Beim Anblick der Stoffmuster hatte Charis das einzige Mal an diesem Tag gelächelt.
Gideon stellte sich neben sie, als sie sich auf die Steinbrüstung lehnte. Ihr Gesichtsausdruck, der unter dem Rand der Haube zu sehen war, war nachdenklich. Die Mundwinkel ihres vollen rosafarbenen Mundes hingen herunter.
Dieser weiche Mund …
Sein Verlangen, das leise und beharrlich vor sich hinsummte, benebelte seine Sinne. Ihm folgte der Selbstekel.
O Gott, er war ein Satyr der schlimmsten Sorte. Wie konnte er auch nur daran denken, sie zu berühren, nach allem, was er letzte Nacht getan hatte?
Sie drehte sich um und bemerkte seinen Blick. Nach der Farbe zu urteilen, die ihre blassen Wangen überzog, vermutete sie die Richtung seiner heißblütigen Gedanken.
Sie musste ihn verabscheuen. Sie sollte ihn verabscheuen. Er hatte ihr Schmerzen zugefügt, war dann vor ihren Augen zusammengebrochen und hatte seit seiner Befreiung aus den Kerkern des Nawabs zum ersten Mal geweint.
Ihre Augen verdunkelten sich zu einem Grün, und er bemerkte in ihnen den Widerschein eines Gefühls, das er nicht benennen konnte. Obwohl er es vor dem Debakel der letzten Nacht als Interesse bezeichnet hätte. Ihre Lippen öffneten sich zu einem geräuschlosen Seufzer.
Er schreckte zurück, als wollte sie nach ihm greifen. Doch ihre Hände, die passend zu dem Kleid in gelben Handschuhen steckten, blieben ruhig auf der Ufermauer liegen.
Sein Herz schlug einen Trommelwirbel. Er rieb sich mit einer Hand den Nacken. Er war überrascht, sie sanft lachen zu hören. Überrascht und verärgert.
Das leise, melodische Geräusch glitt wie Honig durch seine Adern und brachte ihn dazu, etwas zu wollen, was er nie haben könnte. Er sollte an Enttäuschungen gewöhnt sein, doch irgendwie hörten diese verdammten Qualen nie auf.
»Du siehst fast verlegen aus.« Ihre heisere Stimme sprudelte vor Wärme.
»Lieber Gott, Charis …« Er rang danach, seine Empörung auszudrücken. »Du kannst unser Dilemma nicht amüsant finden.«
Ihre Lippen verzogen sich. »Ich lache lieber, als zu weinen.« Sie drehte sich weg und schaute auf das aufgewühlte Meer. »Den Leuten ist förmlich anzusehen, was sie denken, wenn sie uns sehen. Der Kellner heute Morgen grinste anzüglich.«
»Wir sind Frischvermählte«, erwiderte er mit düsterer Stimme. »Wenn deine Brüder Nachforschungen anstellen, möchte ich, dass die Leute sagen, wir hätten uns wie jedes andere Paar verhalten.«
»Dann solltest du mich vielleicht berühren«, meinte sie sanft, aber unerbittlich. Sie starrte immer noch auf das bewegte eisgraue Meer.
Stille trat ein. Die Wellen brachen sich, Möwen schrien, und der Verkehr rumpelte hinter ihnen vorbei.
»Charis …«
Sie drehte sich zu ihm herum, der Humor war verflogen. »Du hast mich letzte Nacht berührt.«
Er ballte die Fäuste. Seine süße, junge Frau war eindeutig in der Stimmung, ihn zu quälen. »Ich glaube nicht, dass du über das, was gestern Abend geschehen ist, sprechen möchtest«, sagte er mit fester Stimme. Verdammt, er wollte es nicht.
»Wie kommst du darauf?«
Weil ich dir wehgetan habe. Weil ich aus etwas, das wunderbar sein soll, ein fürchterliches Desaster gemacht habe. Weil ich nicht
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