Fesseln der Sünde
Innern.
Sir Gideon verschwand in der dunklen Nacht und kehrte mit einem Zinnkessel in der Hand zurück, den er auf das Feuer stellte. Sie hatte sich so darauf konzentriert, ihn zu beobachten, dass sie den Bach, der weiter weg plätscherte, nicht bemerkt hatte. Hinter ihr murmelte Tulliver leise vor sich hin, während er sich um die Pferde kümmerte.
Als das Wasser heiß geworden war, nahm Akash ein feuchtes Tuch, um ihr das Blut und den Schmutz von dem geschwollenen Gesicht zu waschen. Die geringste Berührung schmerzte, und sie spannte all ihre Muskeln an, um still sitzen zu bleiben. Bemüht darum, nicht nach Sir Gideon zu schauen, schmiegte sie sich in ihr Tuch.
Doch am Schluss konnte sie nicht anders. Schweigend ertrug sie, wie Akash ihre Wunden versorgte, und schaute hinüber auf die andere Seite des Feuers, wo Gideon stand.
Der Blick seiner glühenden, dunklen Augen ruhte auf ihr. Tiefe Aufruhr, die sie nicht verstand, lag darin. Seine behandschuhten Hände waren zu Fäusten geballt. Sie las Zorn in seinem Gesichtsausdruck, den gleichen Zorn, den er beim ersten Anblick ihres zerschundenen Gesichtes gezeigt hatte. Sie zitterte, obwohl sie wusste, dass dieses Gefühl nicht ihr, sondern ihren Peinigern galt.
Als er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, nahm er eine steife Haltung an und drehte sich weg, um weitere Feldstühle zu holen, die er um das Feuer gruppierte. Sie neigte ihren Kopf, obwohl sie wusste, dass es sich für eine Dame nicht geziemte, ihr Interesse unverhohlen zu zeigen.
Akash öffnete die Tasche und griff nach einem kleinen Gefäß aus Keramik. Als er es öffnete, drang ein stechender Geruch nach Kräutern durch die Luft. Ruckartig wich sie zurück, doch sie zwang sich, still sitzen zu bleiben, als er ihr die Salbe auf die Wangen strich. Ihr Gesicht fühlte sich an, als wäre es mit Brennnesseln gepeitscht worden. Sie konnte die Schmerzen nicht unterdrücken und rang laut nach Luft.
»Verdammt noch mal. Du tust ihr weh!« Gideon ermahnte Akash und machte einen Schritt in Richtung der beiden. »Sei vorsichtig.«
Akash ging nicht weiter auf seinen Freund ein und sprach zu Charis. »Haben Sie noch weitere Verletzungen?«
Ihre Rippen schmerzten, und sie hatte sich bei ihrem Sturz im Dunkeln die Knie aufgeschlagen. Doch ihr Arm und ihr Gesicht waren bei Weitem das Schlimmste. »Nein, keine.«
Fragend blickte Akash sie starr an, während er den Deckel wieder auf den Tiegel legte. »Sind Sie sich sicher?«
»Ja, ganz sicher.« Sie wollte, dass er aufhörte. Sie konnte einfach nicht mehr. Ihr verschwamm schon die Sicht, und sie hatte die Grenze der Belastbarkeit erreicht.
»Ich verbinde noch Ihren Arm, damit die Schwellung zurückgeht.« Akash öffnete ein anderes Gefäß und verstrich den Inhalt auf ihrem Arm. Er roch so stark wie die erste Salbe, doch als er in Kontakt mit ihrer Haut kam, spürte sie die Wärme, die davon ausging.
Sicherlich würde diese Tortur bald vorüber sein. Das Tuch und ihr dünnes Kleid boten wenig Schutz gegen den scharfen Wind. Als Akash ihr den Arm verband, ließ sie den Kopf vor Erschöpfung hängen.
Gideon kniete sich hin und zog ein weiteres Leinentuch aus der Tasche, in der sich die Medikamente befanden. »Vielleicht ist eine Schlinge eine gute Idee für ihren Arm.«
»Ja.« Akash band das Tuch um ihren Hals. Der schmerzhafte Druck in ihrem Arm ließ sofort nach. »Geht es Ihnen so besser?«
»Ja, danke.« Mit einem zittrigen Lächeln schaute sie hoch zu ihm. »Sehr freundlich von Ihnen.«
Er zuckte wieder so seltsam mit den Schultern. »Keine Ursache. Ich weiß, Ihnen tut alles weh und Sie sind traurig, aber ich kann keine bleibenden Schäden feststellen. Ich werde Sie noch einmal bei Tageslicht untersuchen, doch so weit ich sehen kann, sind Ihre Verletzungen oberflächlicher Natur. Sie werden im Nu wieder auf dem Damm sein.«
Sie war zu müde, um etwas anderes als ein weiteres, geflüstertes Danke herauszubekommen. Gideon nahm den Wintermantel aus der Kutsche und legte ihn ihr um die Schultern. Als dessen schwere Falten sie einhüllten, kitzelte sein vertrauter Geruch sie wieder in der Nase. Sie spürte sofort seine angenehme Wärme. »Kommen Sie, setzen Sie sich ans Feuer.«
Und damit entschwand er sogleich aus ihrer Reichweite. Gedankenverloren sah sie ihm nach, wie er davonschritt. Dann überfiel sie Müdigkeit, und sie taumelte zum Feuer, wo sie erschöpft auf einen Stuhl sank. Ihre eiskalten Glieder kribbelten, als die wohltuende Wärme sie langsam
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