Fesseln der Sünde
Ihr Vater der Mann im nächsten Bild mit dem eher roten Gesicht?«
»Ja. Und mein Bruder Harry ist der Bursche neben ihm, der wie eine jüngere Version seines Erzeugers aussieht.«
Wie üblich zog sich sein Magen bei den widersprüchlichen Gefühlen zusammen, die ihn beim Gedanken an seinen Vater und Bruder erfassten. Zum einen Bedauern, zum anderen aber auch ein Gemisch aus Trauer und Wut und der sinnlose Wunsch, der Umgang miteinander hätte zumindest einen Hauch von Wärme getragen.
»Sie sehen Ihren Eltern überhaupt nicht ähnlich.«
»Mein Vater hätte sich vielleicht gewünscht, mich als Bastard erklären lassen zu können, doch der Beweis für die Treue meiner Mutter befindet sich hier in dieser Galerie.«
Die piratenhaften Züge tauchten auch in eher gewöhnlich aussehenden Gesichtern auf, manchmal bei Töchtern des Hauses, häufiger jedoch bei Söhnen. Ein Black Trevithick war normalerweise männlich. Sein Gesicht fand sich überall, sowohl unter ungestümen Locken als auch unter Mozartzöpfen. Wissende, schwarze, intelligente Augen und das träge, selbstsichere Lächeln.
Charis neigte den Kopf zur Seite und schaute dabei seine Mutter prüfend an. »Sie sieht traurig aus.«
Gideon war überrascht, dass sie die Melancholie, die in dem Bild lag, erspürte. Er ertappte sich dabei, wie er ihr etwas erzählte, was er vorher noch nie jemandem erzählt hatte. »Mein Vater war kein einfacher Mann. Das Wenige, was ich über ihre Ehe weiß, deutet auf eine unglückliche Verbindung hin. Die Geburt meines Bruders war schwierig, und die Ärzte empfahlen getrennte Schlafzimmer, doch mein Vater bestand auf seinem Recht, und so kam ich drei Jahre und vier Fehlgeburten später auf die Welt.«
»Und sie verstarb.« Charis widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Porträt. »Wie tragisch.«
»Ja, das war es.«
Wäre seine Kindheit anders verlaufen, hätte seine Mutter gelebt? Sie war eine einfühlsame, gebildete Frau gewesen. Er hatte schon immer geglaubt, seinen Hang zum Lernen von ihr geerbt zu haben.
»Macht es Ihnen nichts aus, wenn ich ihre Kleider trage?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie war stets freundlich. Jeder, der sie kannte, sagt das. Mein Vater hielt ihr großzügiges Wesen für ein Zeichen von Schwäche. Die Dorfbewohner jedoch liebten sie und sprechen immer noch voller Zuneigung von ihr. Sie wäre die Erste, die einer Dame in Not ihre Garderobe anbieten würde.«
»Ich hätte Ihre Mutter bestimmt gemocht.« In ihrem Lächeln lag eine Spur von Mitgefühl.
Er straffte sich. Sein Stolz wehrte sich gegen ihr Mitleid.
»Kommen Sie mit auf den Dachboden«, sagte er scharf und versuchte, nicht weiter auf ihre Augen zu achten, die bei seinem verletzenden Ton noch dunkler geworden waren.
Er drehte sich auf dem Absatz um, stolzierte aus der Galerie den düsteren Gang entlang, der zum hinteren Teil des Hauses führte. Sie hastete ihm hinterher, bemüht, mit seinen großen Schritten mitzuhalten. Ohne ein Wort zu wechseln, gingen sie eine Reihe immer enger werdender Treppen hinauf, auf die durch schmutzige, längs unterteilte Fenster Licht fiel.
Vor der letzten Tür nahm Gideon zwei Kerzenleuchter aus einer Nische. Er zündete die Kerzen an und gab eine Sarah, die leicht außer Atem neben ihm stand. Er unterdrückte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Sie hatte erst vor Kurzem grausame Schläge ertragen müssen und wäre gestern beinahe von einer Klippe gefallen. Er sollte größere Rücksicht nehmen und sie nicht in diesem rasanten Tempo durch das Haus hetzen.
Sein Ton war dennoch barsch. »Hier. Da drinnen ist es dunkel.«
»Danke.«
Sie folgte ihm schweigend die letzte steile Treppe hinauf. Er betrat den Dachboden vor ihr und blieb abrupt stehen, da mit einem Mal tausend Erinnerungen auf ihn einstürmten.
Der Geruch war immer noch derselbe. Es roch nach Staub. Nach altem, trockenem Holz. Nach muffiger Luft. Alles erinnerte ihn schmerzhaft an das Elend seiner Kindheit und Jugend.
»Mein Gott, hier würde ein ganzes Dorf Platz finden.« Sarah trat näher, berührte ihn aber Gott sei Dank nicht. Dennoch brachte ihre lebhafte Präsenz sein Blut immer noch zum Kochen.
Er schaute sie an, obwohl er es nicht wollte. Das flackernde Kerzenlicht verwandelte sie in ein geheimnisvolles, schattenhaftes Wesen. Ließ ihre großen, haselnussbraunen Augen unergründlich erscheinen. Tauchte einen ihrer Wangenknochen in goldenes Licht, als sie den Kopf neigte, um mit unverhohlener Neugier den riesigen Raum zu
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