Fesseln der Sünde
Andernfalls würde sie weinend zusammenbrechen. Sie weigerte sich, sich selbst zu erniedrigen, und was noch viel wichtiger war, den Mann zu erniedrigen, der sie zur Frau nahm, obwohl er ihr nicht zugeneigt war.
»Der Ring?«
Ob Gideon wohl an einen Ring gedacht hatte? Dieses Symbol ewiger Liebe wurde durch ihre Handlung ins Lächerliche gezogen.
»Charis?«, fragte Gideon.
Sie schaute von ihrem Blumenstrauß hoch, der aus duftenden Freesien bestand, die zu Hause erst in einigen Wochen blühen würden. Gideon streckte seine Hand aus. Sie nahm automatisch die Blumen in die rechte Hand und bot ihm ihre linke an.
»Dein Handschuh?«, sagte er.
Sie schaute sich nach jemanden um, der ihr die Blumen abnehmen könnte, doch weder William noch Tulliver bemerkten ihren suchenden Blick. Gideons Lippen verzogen sich zu einem Strich, und mit einer raschen Handbewegung, in der sie außer Widerwillen nichts erkannte, streifte er ihr den weißen Spitzenhandschuh einfach von der Hand.
Seine Hände zitterten, als er ihr den einfachen Goldring auf den Finger schob.
Es war vollbracht. Sie war verheiratet.
Für immer mit diesem schwierigen, brillanten, rätselhaften, wundervollen Mann verbunden.
Wenn er sich aus ihr etwas machte, dann wäre dies der glücklichste Tag ihres Lebens. Und es wäre ihr auch egal, dass sie ihre einzigen Trauzeugen so gut wie nicht kannte. Oder dass sie wie ein Milchmädchen gekleidet war.
Aber er machte sich nichts aus ihr.
Das Wissen darum machte ihr das Herz so schwer, als läge ein riesiger Stein darauf.
»Sie dürfen die Braut jetzt küssen, Sir Gideon«, sagte der Pfarrer mit einer Herzlichkeit, die wehtat. Alles an diesem Moment tat weh. Selbst ihre hoffnungslose Sehnsucht. Die ganz besonders. »Was für eine hübsche Braut. Ich wünsche Ihnen beiden alles Gute und Ihnen, Lady Charis, viele fröhliche Kinder.«
Charis biss sich auf die Innenfläche ihrer Wange, um den Mann nicht anzufahren. Sie hätte bei seinen guten Wünschen am liebsten laut losgeschrien. Wenn sie je fröhliche Kinder haben sollte, würden es nicht Gideons sein. Sie wären der Verrat an allem, was sie gerade gelobt hatte.
Sie wartete darauf, dass Gideon den Mann wegen seiner Aufforderung tadeln würde. Doch stattdessen nahm ihr soeben angetrauter Ehemann ihren Arm, bevor sie sich wegdrehen konnte. »Es ist mir eine Freude, meine Braut zu küssen.«
Schockiert und zitternd stand Charis da und konnte noch nicht einmal einen Einwand erheben, selbst wenn sie gewollt hätte. Quälend erinnerte sie sich einen Moment lang daran, wie er gestern reagiert hatte. Wenn er sie jetzt genauso behandeln würde, könnte sie den Schrei, der schon hinten in ihrer Kehle saß, nicht mehr zurückhalten.
Unsicher, verängstigt und sehnsüchtig hob sie ihren Blick, der seinen traf. Seine schwarzen Augen waren glasig, und seine Hand auf ihrem Arm steif. Nicht einmal eine äußerst eingebildete Frau hätte auf die Idee kommen können, dass er sie küssen wollte.
Dann erinnerte sie sich daran, dass sie vor ihrem kleinen Publikum die Fassade gegenseitiger Zuneigung aufrechterhalten mussten, sollten Felix und Hubert die Heirat anfechten. Und sie erinnerte sich auch daran, dass Gideon dies alles nur ihretwegen auf sich nahm und Wut kein gerechter Lohn für seine Bemühungen war.
Sie brachte ihren letzten Mut auf und zwang sich zu einem Lächeln, das sich wie das erstarrte Grinsen eines Totenkopfes anfühlte. Doch ein Blick hinüber zum freundlichen Pfarrer ließ erkennen, dass es ihn überzeugt hatte.
»Und mir eine Freude, meinen Mann zu küssen.« Zumindest musste sie in dieser Hinsicht nicht lügen.
In Gideons Augen leuchtete Bewunderung auf, bevor er sich hinunterbeugte und seinen Mund auf ihren drückte. Schockiert durch die Berührung ließ sie den Blumenstrauß fallen. Eine Welle vertrauter Empfindungen ergriff sie, obwohl sie sich nur einmal zuvor geküsst hatten.
Sein Duft. Unverfälscht und rein nach Zitronenseife. Dazu der frische, salzige Geruch seiner Haut. Er hatte sich gewaschen und umgezogen, doch schmeckte er immer noch nach Meer. Seine Größe. Gelegentlich vergaß sie, wie groß und schlank er war. Er verströmte die Hitze eines brennenden Ofens. Neben ihm zu stehen war, wie neben einer glühenden Feuerstelle zu stehen, nachdem Kälte sie für ewige Zeiten erfasst hatte.
Seine Mund bewegte sich mit sanftem Druck auf ihrem. Instinktiv öffnete sie die Lippen und sog seinen Atem in ihre Lungen.
Die Intimität war
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