Fesseln des Herzens
einen langgezogenen Schrei.
Ravencroft erkannte den Laut sofort wieder. Aimees Beistand war offenbar wirklich vonnöten.
»Hier entlang!«, rief er seinen Männern zu, als er die Richtung, die sie nun einschlagen mussten, zu kennen glaubte.
Sie stürmten die Treppe hinauf und einen Gang entlang. Offenbar glaubte Woodward nicht, dass die feindlichen Krieger bis hier oben kamen, denn zunächst trafen sie auf keinen einzigen Wächter. Nachdem sie eine weitere Treppe hinter sich gebracht hatten, erblickten sie ein paar Wachposten, aber die ergriffen angesichts der Übermacht die Flucht. Allerdings liefen sie nach oben, wo vermutlich andere Soldaten stationiert waren.
»Weiter!«, rief Ravencroft seinen Männern zu.
Das Gekreische war nun ganz nahe. Es klang tatsächlich genau so wie die Schreie, die Nicole ausgestoßen hatte, als sie Mary geboren hatte. Woodward musste die Frau in der Etage über ihnen untergebracht haben.
Die Männer stürmten eine weitere Treppe hinauf und trafen nun wieder auf die Wachposten, die sie zuvor vertrieben hatten. Wie nicht anders zu erwarten, hatten die Männer ihre Kameraden darüber informiert, dass die Feinde im Anmarsch waren. Sogleich warfen sich ihnen die Soldaten entgegen. Ihre Schwerter schlugen gegeneinander, und es dauerte nicht lange, bis die ersten Verwundeten fielen. Ravencroft schwang sein Schwert wie ein Berserker, hieb einem Mann einen Arm ab, einem weiteren die Hand, mit der er die Waffe führte. Andere gingen tödlich in Hals oder Brust getroffen zu Boden.
Nach einer Weile war der Weg frei, und der Baron hoffte, dass es noch nicht zu spät war.
Aimee hatte mitbekommen, dass auf dem Burghof etwas vorging, aber sie hatte keine Ahnung, was es war. Dass es keine einfache Kampfübung war, hörte selbst sie, die Waffen dort unten wurden mit aller Kraft und Entschlossenheit geführt, und die Schreie, welche die Getroffenen ausstießen, waren von Angst und Schmerz erfüllt.
Kurz durchzuckte sie der Gedanke, dass Ravencroft einige Männer geschickt haben könnte, um sie zu befreien, aber darauf wollte sie sich lieber nicht verlassen. Selbst wenn er gekommen war, um sie zu retten, war es möglich, dass er unterlag. Dieser Gedanke ließ ihr ganz fürchterlich das Herz zusammenkrampfen.
Jetzt durfte sie allerdings nicht weiter daran denken.
Woodward und einige Bewaffnete standen hinter ihr, und höchstwahrscheinlich würden die Männer sie töten, wenn sie sich bei ihrer Arbeit auch nur einen einzigen Fehler erlaubte.
Die Luft im Raum war vom metallischen Geruch des Blutes geschwängert. Die Mienen der alten Frau, die wahrscheinlich Monahan war, und zweier Mägde wirkten besorgt.
Die Gebärende, die vor Aimee in dem kostbar verzierten Himmelbett lag, war offensichtlich am Ende ihrer Kräfte. Sie war noch recht jung, und ihr Bauchumfang war beträchtlich. Entweder hatte sie sich geirrt, was die Reife der Frucht anging, oder …
Gebe Gott, dass es keine Zwillinge sind, dachte Aimee, als sie ihre bereits von Blut und Fruchtwasser durchtränkten Röcke hob. Bei der Menge an Flüssigkeit, die bereits aus der Schwangeren herausgeflossen war, konnte sie sich nicht mehr viel Zeit lassen. Das Kind würde ersticken, und wenn sie es nicht bald aus dem Leib holte, würde auch die Mutter sterben.
Die Hebamme krempelte die Ärmel hoch und tastete dann vorsichtig nach dem Kleinen. Sie fühlte nur einen Kopf, aber das konnte täuschen.
»Das Kind ist wirklich sehr groß«, sagte sie schließlich. »Habt Ihr vielleicht einen Arzt, der mir beistehen kann?«
»Hier gibt es keinen Arzt!«, fuhr Woodward sie an. »Und es ist auch keine Zeit mehr, um einen zu holen.«
Das glaubte ihm Aimee sofort, nach allem, was unten auf dem Hof vorging. Wahrscheinlich würde der Arzt aufgespießt werden, noch bevor er überhaupt einen Fuß in die Burg setzen konnte.
»Denk dran, wenn du es nicht schaffst und die beiden sterben, hast du dein Leben verwirkt!«, drohte der Baron.
Und wenn nicht, bin ich auch so gut wie tot, fügte sie in Gedanken hinzu und beugte sich dann wieder über die Frau. Allein ihretwegen würde sie es wagen, denn die Ärmste konnte ganz gewiss nichts für den Zwist, der sie letztlich in diese Mauern gebracht hatte.
»Gebt mir ein Messer«, sagte Aimee. »Ein sauberes wenn möglich.«
Der Baron zögerte kurz, dann zog er seinen Dolch aus dem Gürtel. Die Hebamme ergriff die Waffe, besah sie einen Moment lang und nickte. »Habt Dank, Mylord. Und jetzt sagt mir den Namen
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