Fesseln des Herzens
für einen schlimmen Menschen?«, flüsterte Ravencroft Aimee zu, als er hinter ihr in den Sattel stieg.
Die Hebamme, der vom Lachen ebenfalls Tränen in den Augen standen, schüttelte den Kopf.
»Nein, ich halte Euch für einen sehr gnädigen Mann, denn hätte unser Schicksal in Woodwards Händen gelegen, wären wir beide gewiss schon tot.«
Damit legte sie den Kopf in den Nacken, und Ravencroft küsste sie sanft, bevor er seinen Männern den Befehl gab weiterzureiten. Wenn es zu keinen Zwischenfällen mehr kam, würden sie nach einem weiteren Tagesritt die Burg erreichen.
Nicole of Ravencroft konnte nicht sagen, was sie überkam, als sie aus dem Fenster in die Nacht hinausblickte. Es war, als dränge sich ein Schatten in ihre Seele, eine Finsternis, die schwärzer war als der Himmel.
Für einen kurzen Moment hatte sie gemeint, eine Stimme zu vernehmen. Henrys Stimme, die sehnsuchtsvoll nach ihr rief.
Natürlich konnte er es nicht sein, und das machte Nicoles Gemüt nur noch finsterer. Was war, wenn dieses ungute Gefühl, das sie übermannte, ein Omen war? Wenn es seinen Tod ankündigte?
Sie war so tief in ihre Gedanken versunken, dass sie das Klopfen an ihrer Tür erst bei der dritten Wiederholung bemerkte.
»Komm herein«, sagte sie und richtete den Blick wieder auf das Fenstergeviert, hinter dem die ersten Sterne in dem dunklen Blau aufblitzten.
»Mylady, man hat Euren Gemahl und seine Leute an der Grenze gesichtet«, berichtete Celeste, nachdem sie geknickst hatte. »Gewiss werden sie bald hier sein.«
Nicole stockte der Atem. Ihre Ahnung war also nicht von ungefähr gekommen.
»Wer will ihn gesehen haben?«, fragte sie, ohne sich ihrer Kammerfrau zuzuwenden.
»John, der Hütejunge. Er wollte Euch Bescheid geben, damit Ihr Euch nicht mehr zu sorgen braucht.«
Ein trauriges Lächeln trat auf Nicoles Miene. Ihr Gemahl war der Letzte, um den sie sich Sorgen gemacht hatte. Ihre Furcht hatte Henry gegolten, doch da der Baron zurückkehrte, war das Schicksal ihres Geliebten wohl entschieden.
»Hat der Junge denn auch gesehen, ob der Baron irgendwelche Gefangenen bei sich hatte?«, fragte sie, denn sie war sicher, dass Ravencroft seinen Hauptmann, wenn er ihn denn lebend zu fassen bekommen hatte, vor Gericht stellen würde.
»Nein, Mylady, das hat er nicht erwähnt.«
Nicole schloss kurz die Augen. Offenbar hatte sie diese Empfindung vorhin nicht umsonst gehabt.
»Danke, Celeste, du kannst gehen«, sagte sie schließlich.
»Soll ich Euch nicht ein wenig Gesellschaft leisten?«, fragte die Kammerfrau, denn trotz allem, was geschehen war, war sie noch immer besorgt um Nicole.
»Das ist nicht nötig, Celeste. Geh zu Bett.«
Die Kammerfrau knickste und verließ dann den Raum. Nicole sah ihr nicht hinterher, sondern richtete ihren Blick wieder aus dem Fenster. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen und ließ ihre Hände zittern. Ich hätte es bei dem bewenden lassen sollen, was ich hatte, ging es ihr durch den Sinn, doch sie war sich darüber im Klaren, dass diese Einsicht zu spät kam.
Der Schrei einer Eule rief sie ans Fenster und brachte ihr plötzlich einen Gedanken.
Es gibt einen Ausweg, ging es ihr durch den Sinn, während der Nachtwind nach ihrem Haar griff und es durcheinanderwirbelte. Ein eisiges Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie die Hände auf dem Fenstersims abstützte und dann stumm in die Nacht hinausschickte: Du wirst mich nicht strafen, George of Ravencroft!
Im Morgengrauen des folgenden Tages kehrte der Baron mit Aimee und seinen Männern zurück. Der Kampf gegen Woodward hatte sie zwar einiges gekostet, ihm aber auch den größten Schatz eingebracht, den er besaß.
Obwohl die Schäferin im Nachhinein glücklich war, dass Ravencroft ihre Befreiung gewagt hatte, marterten sie zahlreiche Gedanken. Was würde nun aus ihr werden? Konnte sie den Witwen der Gefallenen noch in die Augen blicken? Immerhin hatte der Baron ihretwegen das Leben seiner Männer riskiert. Und sein eigenes!
Nun würde es nicht mehr zu verheimlichen sein, dass sie Ravencrofts Geliebte war. Doch wollte sie es denn überhaupt verheimlichen? Immerhin liebte sie diesen Mann von ganzem Herzen. Auch wenn sie aus verschiedenen Welten kamen, fühlte sie genügend Mut in sich, um den Anfeindungen und Widerständen zu trotzen.
Als der Zug zum Burgtor hereinritt, trat ihnen der Haushofmeister mit ernster Miene entgegen. Ravencroft erzitterte ahnungsvoll. War etwas geschehen?
Er hob Aimee von seinem Pferd und
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