Fesseln des Schicksals (German Edition)
zu. Obwohl es eigentlich verboten war, konnte man praktisch kein Duell ablehnen, ohne automatisch vor allen als Feigling dazustehen. Und wie konnte ein Feigling weiter zu ihnen gehören? Wie sollte man einem Feigling vertrauen?
«Lasst mich los!», befahl Klaus.
Vorsichtig lockerten die drei Kadetten ihren Griff. Klaus schien sich beruhigt zu haben. Mit einer abrupten Bewegung schüttelte er schließlich die Hände ab und verschwand, nicht ohne Scott noch einen drohenden Blick zuzuwerfen.
Sobald Klaus verschwunden war, kehrten auch die letzten Schaulustigen zu ihren Aufgaben zurück. Diejenigen, die Scott geholfen und sich Klaus entgegengestellt hatten, taten es ihnen gleich. Nur Richard blieb unbeirrbar an Scotts Seite und stützte ihn auf dem Weg zurück ins Zimmer.
Vollkommen durchnässt und mit Schlamm und Blut verschmiert, murmelte Scott etwas, das nach einem «Danke» klang, und ließ sich dann aufs Bett fallen.
«Eigentlich schlägt er nicht mal richtig hart zu», flüsterte er noch, bevor er die Augen schloss.
Am nächsten Morgen hatte es aufgehört zu regnen. Als die Sekundanten kamen, um Scott abzuholen, schlief der noch. Trotz der schlechten Meinung, die Klaus von Scott hatte, konnte er nicht wirklich glauben, dass sein Gegner nicht erscheinen würde. Nicht einmal Scott konnte ein solcher Feigling sein. Klaus hielt also sein Wort und traf pünktlich bei der kleinen Bucht ein. Dort wartete er. Aber Scott kam nicht.
Nach diesem Zwischenfall wurde Scott von keinem Studenten der Akademie, der etwas auf sich hielt, mehr gegrüßt. Und diejenigen, die aus den Nordstaaten kamen, waren sogar noch strenger mit ihm. Während die Südstaatler einfach annahmen, dass Scott eben ein Feigling war, nicht würdig, unter ihnen zu weilen, hielten die Nordstaatler ihn außerdem für einen Verräter, der sie alle bloßgestellt hatte.
In dem Maße, wie die politische Situation im Land schwieriger geworden war, hatte sich zwischen den Studenten ein immer größerer Graben aufgetan. Eine Art stillschweigender Vereinbarung besagte zwar, dass man nicht über Politik sprach, aber in einigen Situationen kam das Thema doch auf, und die Spannung zwischen den Parteien wurde immer spürbarer. Die Zeiten vertrauter Freundschaft waren endgültig vorüber.
Wenn Scott darunter litt, dass er auf einmal geschnitten wurde, zeigte er es jedenfalls nicht. Er machte weiter wie bisher. Nur Richard stand ihm freundschaftlich zur Seite. Irgendwie hatte diese hässliche Begebenheit sie sogar noch enger miteinander verbunden. Da war etwas in Scott, das Richard immer mehr respektierte. Und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass sein Freund sicher noch für weitere Überraschungen gut wäre. Es wäre ein schlimmer Fehler, ihn zu unterschätzen.
Klaus hingegen beachtete Scott einfach nicht mehr. Er war nur noch ein Feigling für ihn. Er hatte es abgelehnt, sich zu duellieren, und die ganze Akademie wusste darüber Bescheid. So jemand war es nicht einmal wert, den Abschluss machen zu dürfen, und Klaus konnte sich ihm überlegen fühlen. Er schwor also, sich über nichts mehr aufzuregen, was dieses respektlose Großmaul von sich gab, denn das würde schließlich bedeuten, sich auf sein Niveau hinabzubegeben. Und wenn Klaus etwas mit Sicherheit wusste, dann, dass er weit über dieser Plage von einem Yankee stand.
***
Als die Bäume am Ufer des Severn River erneut ihre Blätter verloren, bekam Scott unerwarteten Besuch.
«Großvater!»
«Mein lieber Enkel», grüßte ihn der alte Herr und ließ sich umarmen. Aus irgendeinem Grund war Scott der einzige Mensch aus der ganzen Familie, bei dem der General weich wurde und seine steifen Umgangsformen ablegte.
«Wie bin ich froh, dich zu sehen!»
Sein Großvater lächelte. «Ich freue mich auch sehr. Ich habe dich vermisst.»
«Was machst du hier?»
«Der Superintendent ist ein Freund von mir. Er hat eine Zeit lang unter meinem Befehl gedient. Ich habe gedacht, wenn ich ihn besuche, kann ich bei der Gelegenheit sehen, wie es meinem Enkel geht.»
General Sanders legte Scott den Arm um die Schultern.
«Deine Mutter lässt dich grüßen.»
«Wie geht es ihr?»
«Du fehlst ihr.»
«Ich vermisse sie auch», sagte Scott melancholisch. Aufmunternd klopfte ihm sein Großvater auf die Schulter.
«Wie geht es Brian?»
«Deinem Bruder geht es gut. Dein Vater hat schließlich erreicht, dass er es in der Politik zu etwas bringt. Wenn er so weitermacht, wird er noch Gouverneur, bevor du hier deinen
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