Fesseln des Schicksals (German Edition)
sonderlich beeindrucken.
Bestürzt beobachtete Hortensia die Szene vom Fenster der Bibliothek aus. Zum Glück konnte sie nicht hören, was gesprochen wurde. Vor wenigen Tagen hatte sie ihre Mutter verloren, ihr Vater war ein Fremder, und jetzt musste sie zusehen, wie ihre Schwester, ihre Freundin und Stütze, wie eine Sklavin gefesselt auf einem Karren saß, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie wandte den Blick ab und ging einen Schritt auf ihren Vater zu, der gerade den Raum verlassen wollte.
«Tu das nicht!» Mit Tränen in den Augen warf sie sich ihrem Vater zu Füßen. «Niemand wird es erfahren. Lass nicht zu, dass sie geht.» Verzweifelt hielt Hortensia ihn an den Beinen fest.
Langsam sah David Parrish auf sie hinunter. Der Zorn war verschwunden, sein Gesicht war zu einer gefühllosen Maske gefroren, hinter der man keinerlei Emotionen erkennen konnte. Mit eiskalter und hasserfüllter Stimme sagte er: «Fass mich nie wieder an, Negerin.»
Erschrocken ließ Hortensia ihren Vater los und sah ihn an.
«Dachtest du etwa, dass ihr mich täuschen könnt?», fuhr er fort. «Glaubst du etwa, ich würde die Tochter von Katherine Lacroix nicht erkennen?»
«Du hast es gewusst?», stotterte Hortensia voller Entsetzen.
«Charlotte kann die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter kaum verbergen. Und wie sie mich ansah, als sie nach Katherines Tod aus dem Zimmer kam, wusste ich, dass auch sie mir nie verzeihen würde.»
«Aber warum …»
Jetzt lachte David grausam auf. «Katherine Lacroix wird sich im Grabe umdrehen. Du fragst dich, warum ich dich hierbehalten habe? Warum ich deine Gegenwart ertrage? Das ist ganz einfach. Vor ein paar Tagen hat mein Freund Oberst Dugan um deine Hand angehalten, und ich habe in deinem Namen angenommen. Und wage ja nicht, dich zu weigern», warnte er sie, noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, um zu protestieren. «Du wirst Oberst Dugan heiraten, oder dein geliebter Robert Ardley wird erfahren, dass er um eine Sklavin geworben hat.»
Die Worte wurden mit einer solchen Verachtung ausgesprochen, dass sie Hortensia trafen wie ein Schlag ins Gesicht.
«Noch etwas», fügte er hinzu, ohne die junge Frau, die jetzt mit panikverzerrtem Gesicht am Boden saß, noch eines Blickes zu würdigen. «Ich will dich nicht mehr sehen, solange du noch in diesem Haus wohnst.»
Und dann verließ David Parrish das Zimmer. Der bittere Geschmack der Rache lag ihm auf der Zunge.
· 23 ·
J e weiter der Karren sie von New Fortune wegbrachte, desto mehr wuchs auch ihre quälende Angst. Was würde nur mit ihr geschehen?, fragte sich Charlotte und betrachtete verzweifelt die Eisen, die ihre Handgelenke umschlossen. Mit jeder Umdrehung der Räder schwand die Hoffnung, dass ihr Vater seine Entscheidung bereuen und sie zurückholen würde. Er würde ihr nicht verzeihen.
Verstohlen sah Charlotte Noah von der Seite an. Er wirkte vollkommen gleichmütig, fast als würde er sich mit seinem Schicksal abfinden. Bisher hatten sie kein Wort miteinander gewechselt, und sie hatte gewiss nicht vor, den ersten Schritt zu tun. Charlotte weigerte sich, ihre neue Lage zu akzeptieren, und solange ihr noch etwas Stolz blieb, an den sie sich klammern konnte, würde sie nicht zusammenbrechen. Wenn Noah das hier aushielt, dann würde sie das auch können. Die Vorstellung, er könnte sie am Boden sehen, war mehr, als sie an diesem Tag noch ertragen konnte.
Als es Nacht wurde, hielt der Sklavenhändler den Wagen am Straßengraben an und befahl Noah, Holz zu sammeln und ein Feuer zu machen. Danach briet er ein paar Eier mit Schinken und kochte Kaffee. Als das Essen endlich fertig war, setzte sich der ungepflegte Mann auf einen Stein und aß, ohne den Blick von seinem Teller zu heben. Nachdem er die Pfanne ausgeleckt hatte, vergewisserte er sich, dass Noah und Charlotte gut festgebunden waren, breitete eine Decke neben dem Feuer aus und legte sich schlafen. Erst jetzt begriff Charlotte, dass sie nichts zu essen bekommen würden.
Die Fesseln hatten rote Male auf ihren Handgelenken hinterlassen, und sie fühlte sich so schwach, dass sie beinahe den Mut verlor. Ihr Kleid war zu dünn, um die nächtliche Kälte abzuhalten, und sie hatte nicht einmal einen Schal, den sie sich über die Schultern legen konnte. Charlotte sah zu Noah. Der hatte sich in geringer Entfernung an einen Baumstamm gelehnt. Hunger und Kälte schienen ihm nichts anhaben zu können. Machte ihm denn gar nichts etwas aus?, fragte sich Charlotte verwirrt, während
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