Fesseln des Schicksals (German Edition)
bluten.
«Morgen werde ich nicht arbeiten können.»
«Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben.»
«Aber meine Hände … Und ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Ich habe Fieber.»
«Den Herren ist der Zustand Ihrer Hände egal, und der Ihrer Seele noch mehr. Wenn Sie nicht arbeiten, sind Sie zu nichts nütze, und wenn Sie zu nichts nütze sind, hat es keinen Zweck, Sie durchzufüttern. Man wird Sie verkaufen.»
«Großartig. Ich will sowieso hier weg.»
«Ich glaube nicht, dass Sie das wollen», sagte er und sah ihr direkt in die Augen, überrascht, dass sie so wenig von der Welt wusste.
«Warum sollte ich das nicht wollen? Es kann nichts Schlimmeres geben als das hier.»
«Es gibt neben dem Baumwollpflücken nur eines, was eine so schöne Sklavin wie Sie tun kann.»
«Willst du damit sagen, dass …?»
«Sklavinnen mit heller Haut sind begehrte Ware in den Bordellen der Stadt. Dort landen sie irgendwann alle.»
«Das ist nicht wahr!»
«Wie viele Sklavinnen mit heller Haut haben Sie gekannt? Ich meine keine Mulattinnen. Ich meine Sklavinnen, die auch Weiße sein könnten.»
Charlotte senkte den Kopf.
«Jetzt wissen Sie, warum Sie morgen arbeiten müssen, bis Sie umfallen. Nach allem, was ich gehört habe, ist der Aufseher ein fairer Mann. Wenn Sie sich Mühe geben, wird er vielleicht erlauben, dass Sie hierbleiben.»
Als das Wasser abgekühlt war, wies Noah Charlotte an, die Hände aus der Schüssel zu nehmen. Vorsichtig trocknete er die wunde Haut ab und bedeckte sie mit dünnen Stoffstreifen, die er zuvor abgekocht und getrocknet hatte. Danach machte er Charlotte einen Kräutertee mit einer Prise Salz.
«Trinken Sie. Das wird Ihnen guttun.»
Charlotte nahm die Tasse und führte sie an die Lippen. Der Tee war heiß, und sie trank nur in langsamen, kleinen Schlucken.
«Sie müssen Flüssigkeit aufnehmen. Es war unklug, ohne Kopfbedeckung in der Sonne zu arbeiten. Sie sind nicht daran gewöhnt.»
Erst nachdem sie noch drei weitere Tassen Tee getrunken hatte, erlaubte Noah ihr, sich hinzulegen.
«Warum hilfst du mir, Noah? Nachdem ich dich all die Jahre lang schlecht behandelt habe … Ich verstehe nicht, wie du mich ertragen kannst», sagte Charlotte beschämt.
Bevor er ihr antwortete, vergewisserte er sich, dass sie auch gut zugedeckt war.
«Jemand, der fähig ist, für seine Schwester ein solches Schicksal auf sich zu nehmen, hat meinen Respekt verdient.»
«Du weißt es also», sagte Charlotte mit Tränen in den Augen.
Noah nickte.
«Hat meine Mutter …?»
«Nein, Miss Charlotte. Sie hat mir nie etwas gesagt und auch nicht geahnt, dass ich es wusste.»
«Wie hast du es dann erfahren?»
«Ich habe es aus Zufall entdeckt, als ich noch ein Junge war.»
«Erzähl mir davon.»
«Es ist schon so lange her.»
«Bitte …»
«Na gut, ich erzähle es Ihnen», willigte Noah ein und stellte seinen Hocker neben Charlottes Bett. «Es ist sonderbar, obwohl ich schon lange nicht mehr daran gedacht habe, ist die Erinnerung noch ganz deutlich. Ich war noch ein Kind. An diesem Tag gab es nicht so viel auf den Feldern zu tun, und als die Schulstunden um waren, hat Mr. Owen mir frei gegeben. Ich weiß noch, wie ich mich gefreut habe. Ich beschloss, den freien Nachmittag zu nutzen, um ein bisschen Fleisch zu besorgen, und wollte am Fluss Frösche fangen.»
Charlotte verzog angeekelt das Gesicht.
«Ja, ich weiß, es hört sich nicht sehr appetitlich an, aber auch wenn Sie es nicht glauben, Frösche sind viel leckerer als Maisbrei», sagte Noah belustigt. «Da war ich jedenfalls und verfolgte gerade einen riesigen Frosch, als ich Herrin Katherine neben Mollys Grab entdeckte. Alle auf der Plantage kannten die Geschichte von der weißen Sklavin und ihrem toten Baby. Ihre Mutter sollte mich nicht sehen, und so versteckte ich mich hinter dem großen Felsen am Fluss. Sie legte frische Blumen auf das Grab und fing an zu reden. Ich wollte nicht lauschen, aber ich konnte es nicht verhindern. Ich hörte, wie Ihre Mutter Molly erzählte, dass sie beruhigt sein solle, dass es ihrer Tochter Hortensia gutgehe.»
«Und du hast es niemandem gesagt?»
Noah schüttelte mit dem Kopf.
«Nicht einmal deiner Mutter?»
«Nein.»
«Aber warum? Mein Vater hätte alles für diese Information gegeben.»
«Alles außer dem, was ich haben wollte», gestand Noah mit einem Anflug von Trauer. «Was hätte ich davon gehabt, es ihm zu erzählen? Es hätte nur Hortensia und Ihrer Mutter geschadet. Und ich habe
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