Fesseln des Schicksals (German Edition)
das Papier unter die Kohlen.
«So, das war’s! Für heute sind wir fertig. Morgen sind die Schlafzimmer dran.»
***
Keuchend stürzte Charlotte in die Hütte. Sie war den ganzen Weg vom Herrenhaus gelaufen.
«Ach, zum Glück bist du schon hier, Noah!»
«Wir durften heute früher aufhören.»
Charlotte ließ ihn kaum ausreden und holte sofort das Stück Zeitung aus ihrer Schürze.
«Hier, lies das», sagte sie und streckte es Noah hin.
«Bist du verrückt geworden? Wir sind hier nicht auf New Fortune. Weißt du, was passiert, wenn jemand erfährt, dass wir lesen können?»
«Sei still und lies einfach!»
Noah nahm das Papier und strich es glatt. Es war eine Seite aus dem Gesellschaftsteil. Dort wurde berichtet, dass die Tochter eines der reichsten Landbesitzer Virginias heiraten würde. Erst in der letzten Zeile wurden die Namen des Brautpaars bekannt gegeben. Noah war sprachlos.
«Ich verstehe das nicht, Noah. Ich war mir so sicher, dass Robert Ardley um Hortensias Hand anhalten würde. Wie ist es möglich, dass sie jetzt Oberst Dugan heiratet?»
«Vielleicht hat dein Vater herausgefunden, dass eigentlich Hortensia Mollys Tochter ist, und sie gezwungen.»
«Aber wie soll er das herausbekommen haben? Sie hat es ihm bestimmt nicht verraten.»
«Ich weiß es nicht. Aber anders kann ich es mir nicht erklären. Wie hätte er sonst ihre Einwilligung erzwingen können?»
«Wann ist die Hochzeit?»
Noah überflog den Text noch einmal. «Am fünften Oktober. Die Hälfte des Septembers ist wahrscheinlich vorbei, also bleiben bis dahin noch zehn bis vierzehn Tage.»
Nervös lief Charlotte in der Hütte auf und ab. Ihr Kopf war kurz davor zu zerspringen.
«Das müssen wir verhindern!»
«Das können wir nicht, Charlotte. Wir können nichts tun. Du vergisst, wer wir sind und wo wir sind.»
«Das vergesse ich keineswegs. Und ich kann einfach nicht glauben, dass mein Opfer, alles, was ich durchgemacht habe, umsonst war. Wenn mein Vater wirklich weiß, wer sie ist, was wird nur mit ihr geschehen?»
Verzweifelt fuhr Charlotte fort: «Bitte, Noah. Ich flehe dich an. Wir müssen etwas tun. Du hast doch gesagt, dass du Hortensia immer gemocht hast.»
Noah sah sie an. Charlotte würde nie akzeptieren, nicht mehr selbst über ihre Zukunft bestimmen zu können. Noah zuckte hilflos mit den Schultern.
Wütend stampfte Charlotte mit dem Fuß auf. «Ich werde nicht untätig hier herumsitzen, während dieser Bastard von meinem Vater damit durchkommt. Ich schwöre beim Andenken meiner Mutter, dass ich diese Hochzeit verhindern werde. Mit oder ohne deine Hilfe.»
«Und was willst du tun?»
«Ich werde sie da rausholen.»
«Und wie willst du da hinkommen? Zu Fuß?»
«Kriechend, wenn es sein muss!»
«Du brauchst viel länger als zehn Tage. Selbst wenn du es schaffen würdest zu fliehen, würdest du doch niemals rechtzeitig ankommen.»
«Ich werde rechtzeitig dort sein. Ich kann versuchen, ein Pferd zu stehlen. Allein oder mit deiner Hilfe, ich schwöre, ich werde es versuchen.»
Noah wusste, dass Charlotte es ernst meinte. Aber allein könnte sie es niemals schaffen.
«Wenn sie uns schnappen, hängen sie uns auf.»
«Das ist immer noch besser, als für den Rest meines Lebens als Sklavin zu leben. Außerdem werden sie uns nicht schnappen.»
«Und was wird aus mir? Was soll ich danach tun, wo soll ich hin?»
«Du kommst mit uns. Wir werden uns um dich kümmern.»
Noah dachte nach, bevor er Charlotte eine Antwort gab. Er war sein ganzes Leben ein Sklave gewesen. Aber auch in ihm war langsam der Wunsch gewachsen, dieses Schicksal hinter sich zu lassen.
«Einverstanden. Ich gehe mit dir. Und außerdem ist da meine Mutter. Ich kann sie nicht dort allein lassen.»
Am nächsten Morgen ging Charlotte wieder mit Melody zum Haupthaus. Sie putzten die Schlafzimmer und taten die letzten Handgriffe. Danach würde sie zu Noah in die Hütte gehen, und in derselben Nacht noch würden sie fliehen.
«Am meisten Sorgen machen mir die Hunde», sagte Noah. Aber Charlotte grinste.
«Ich verstehe nicht, was daran so lustig ist.»
«Ich habe mir alles gut überlegt», antwortete Charlotte und holte einen kleinen, in ein Taschentuch gewickelten Gegenstand unter dem Bett hervor.
«Was ist das?»
«Unser Passierschein in die Freiheit!» Unter dem Tuch kam ein Parfümfläschchen zum Vorschein.
«Wo hast du das her?»
«Gefunden.»
«Du hast es gestohlen!»
«Sagen wir, ich habe es mir ausgeliehen», antwortete Charlotte
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