Fesseln des Schicksals (German Edition)
gekränkt.
«Wenn sie dich erwischen, ziehen sie dir bei lebendigem Leib die Haut ab.»
«Wenn sie uns heute Nacht erwischen, ist dieses Parfüm wahrscheinlich unser geringstes Problem.»
Gegen Mitternacht gingen sie los. Schweigend verließen sie das Hüttendorf und gingen runter zum Bach. Niemand sah sie. Charlotte hatte dort hinter einem Gebüsch ein Bündel versteckt, das sie jetzt mitnahmen. Sie folgten dem Gewässer Richtung Norden, bis sie nach zwei Stunden an einem Punkt ankamen, wo der Bachlauf sich teilte. Einer der Arme führte wieder nach Süden zurück in Richtung Plantage.
«Hier ist es», sagte Noah und blieb stehen. «Ich hatte schon befürchtet, dass es diese Stelle gar nicht gäbe. Wir müssen uns beeilen, damit wir den Weg zurück noch schaffen und ein paar Stunden Vorsprung haben, bevor unsere Flucht bemerkt wird.»
Charlotte nickte. Sie warf das Bündel auf die andere Seite des Baches, entledigte sich ihrer Kleider und watete ans andere Ufer. Dort zog sie ein Kleid an, das im Bündel gewesen war. Jetzt zog sich auch Noah aus. Er legte seine und Charlottes Kleider vor einen Stein und trat ein paar Schritte zurück. Jetzt schleuderte er das Parfümfläschchen gegen den Stein. Es zerbrach und ergoss seinen Inhalt über die Kleider.
Dann durchquerte auch er den Bach und zog auf der anderen Seite ein Hemd und eine Hose an, an denen noch der Geruch eines anderen Menschen haftete.
«Wie bist du an die Sachen gekommen?»
«Ich habe Melody gesagt, dass ich ihr bei der Wäsche helfen würde, zum Dank dafür, dass sie mich ausgesucht hat, um im Haus zu helfen. Die Sachen sind von ihr und ihrem Vater.»
«Hat sie dir geglaubt?»
«Warum sollte sie mir nicht glauben? Denkst du, dass es etwas nützt?»
«Vermutlich schon. Die Hunde werden unsere Spur bis hierher problemlos verfolgen. Wenn sie die parfümierten Sachen finden, wird ihr Geruchssinn für ein paar Stunden ausgeschaltet sein. Und es wird sie auch verwirren, dass wir die fremden Kleider angezogen haben. Zudem haben wir unseren Verfolgern genügend Indizien dafür geliefert, dass wir nach Norden wollen. In dieser Richtung liegt Pennsylvania. Niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, würde annehmen, dass zwei entlaufene Sklaven den Hals riskieren, indem sie sich in den Süden zurückbegeben, wenn die Freiheit nur wenige Meilen weit entfernt ist.»
«Du hast recht», antwortete Charlotte zufrieden.
Den Rückweg legten Charlotte und Noah im Bach watend zurück. Im Wasser würden sie keine Spuren hinterlassen, die die Hunde verfolgen könnten. Es war riskant, eine falsche Fährte zu legen und ihre Verfolger glauben zu machen, dass sie in den Norden fliehen wollten, denn jetzt mussten sie noch einmal zurück auf das Gebiet der Plantage. Aber es war die einzige Möglichkeit, ihre Spuren zu verwischen und etwas Zeit zu gewinnen.
Als sie die Plantage endlich zum zweiten Mal hinter sich gelassen hatten, schlugen sie sich in den Wald. Fast im Dunkeln kämpften sie sich zwischen dichtem Gebüsch und tiefhängenden Ästen vorwärts. Kurz bevor der Sonnenaufgang drohte, verbargen sie sich in einem Erdloch und bedeckten sich mit Laub und Zweigen. In diesem Versteck warteten sie den Anbruch der sicheren Nacht ab. Am nächsten Tag schafften sie es bis zu den Bergen. New Fortune rückte immer näher.
Weil sie sich tagsüber verstecken mussten, kamen sie nur langsam voran. Sie ernährten sich nur von wilden Beeren und Früchten, die sie auf ihrem Weg finden konnten. Und während die Tage vergingen und ihre Kräfte schwanden, zweifelte sogar Charlotte manchmal daran, dass sie noch rechtzeitig ankommen würden, um Hortensias Hochzeit zu verhindern.
***
«Miss Hortensia. Hier ist Ihr Kleid.»
Hortensia drehte sich zu Latoya um, die gerade das Zimmer betreten hatte. «Leg es dort hin.»
Vorsichtig breitete die Sklavin das Hochzeitskleid auf dem Bett aus, das unter den vielen Metern elfenbeinweißer Naturseide fast nicht mehr zu sehen war. «Es ist wunderschön», sagte sie bewundernd.
«Ja, es ist sehr hübsch», erwiderte Hortensia mit erstickter Stimme. Ihr war, als hätte ihr jemand eine Schlinge um den Hals gelegt und zöge sie immer fester zu.
Latoya blickte ihre Herrin an. Seit Charlotte als Sklavin verkauft worden war, war Hortensia nicht mehr sie selbst gewesen. Immer war sie traurig. Sie verließ kaum einmal ihr Zimmer, und wenn doch, dann lief sie wie eine verlorene Seele durch das Haus. Latoya fühlte die Narbe in ihrer Handfläche und
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