Fesseln des Schicksals (German Edition)
Tatsache, dass wir vom gleichen Vater abstammen, keineswegs zu Gleichen macht. Und noch weniger zu Geschwistern. Aber auch wenn Sie es nicht glauben können, ich habe Sie nicht aus Stolz als meine Schwester vorgestellt, sondern zu Ihrem Schutz. Für Sie ist es in diesem Moment sehr viel sicherer, bei mir zu leben. Und selbst Sie sollten begreifen, dass es für mich nicht sehr angenehm ist, mit einer launischen und egoistischen Frau wie Ihnen zusammenzuwohnen. Wenn Sie nicht bleiben wollen, steht es Ihnen frei, in einer anderen Hütte unterzukommen. Sie wissen, wo die Tür ist. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich jetzt gern schlafen. Morgen müssen wir früh aufstehen, und ich bin müde.»
Noah stellte die beiden Teller in eine Schüssel, zog sich die Schuhe aus und legte sich auf die Pritsche neben der Tür.
«Schlafen Sie gut, Miss Charlotte.»
***
Die Sonne brannte unerbittlich. Charlotte hatte nicht erwartet, stundenlang in der Sonne arbeiten zu müssen, und hatte keine Kopfbedeckung. Sie war durstig, und ihr tat der Kopf weh. Langsam richtete sie sich auf und ging zum Wassereimer.
«Was machst du da?», fragte der Aufseher und hielt sein Pferd genau vor ihr an.
«Ich habe Durst.»
«Schon das fünfte Mal an diesem Morgen willst du etwas trinken», sagte er und versperrte ihr mit der Peitsche den Weg. «Das Wasser ist nicht nur für dich. Du hast es ja nicht einmal verdient. Das bisschen Baumwolle hast du heute gepflückt», rügte er sie und deutete auf Charlottes Korb, der nicht einmal halb voll war. «Du hast dich genug ausgeruht», sagte er. «Zurück an die Arbeit!»
Flehend sah Charlotte ihn an, aber der Aufseher hatte kein Erbarmen. Mit einer Bewegung der Peitsche bedeutete er ihr weiterzuarbeiten.
Als sie jetzt nach einer Baumwollkapsel griff, verletzte sie sich erneut an den scharfen Kanten. Ihre Hände waren schon ganz zerschunden, und der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Warum behauptete dieser gefühllose Mensch, dass sie nicht hart arbeiten würde? Sah er vielleicht nicht, wie ihre Hände bluteten?
Am Ende des Tages hatte Charlotte zwei Körbe gefüllt. Diese Menge pflückten sonst Kinder an einem Vormittag. Kopfschüttelnd warf der Aufseher einen Blick auf Charlottes Arbeit. Dann gab er seinem Pferd einen Peitschenhieb und ritt davon.
Gemeinsam mit den anderen Sklaven ging Charlotte zum Hüttendorf zurück. Obwohl der Weg nicht weit war, schleppte Charlotte sich so langsam voran, dass sie den Rest der Gruppe aus den Augen verlor. Sie war vollkommen erschöpft, ihre Finger waren wund, und der Rücken tat ihr so weh, dass sie sich nicht aufrichten konnte.
Als sie endlich in die Hütte trat, saß Noah schon am Tisch und aß seinen Maisbrei.
Ohne ein Wort schleppte Charlotte sich zum anderen Hocker und ließ sich darauffallen. Dann legte sie ihren Kopf auf den Tisch. Sie fühlte sich krank.
Noah aß weiter. Er hatte nicht die Absicht, als Erster das Schweigen zu brechen, das seit dem Streit am Vortag zwischen ihnen herrschte. Aber als er das Blut an Charlottes Händen sah, tat sie ihm leid. Die Schnitte waren sehr tief, die Finger waren geschwollen, und auf großen Teilen der Handflächen sah man das offene Fleisch.
«Das muss sehr wehtun», sagte Noah mitfühlend.
Charlotte drehte den Kopf auf dem Tisch und sah ihn an. Ihre Wangen waren stark gerötet. «Es geht mir nicht gut.»
Noah fühlte ihre Stirn. Sie war glühend heiß. «Sie haben Fieber. Sie haben zu viel Sonne abbekommen. Wir müssen das Fieber irgendwie senken.»
«Und wie willst du das anstellen, Doktor?»
«Mir fällt schon etwas ein, vertrauen Sie mir.»
Ungläubig lächelnd schloss Charlotte die Augen. «Fast hätte ich vergessen, wie gern du deine große hässliche Nase in die Medizinbücher gesteckt hast, die meine Mutter dir geschenkt hat», murmelte sie, bevor sie einschlief.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand eine Schüssel mit Wasser vor ihr auf dem Tisch.
«Legen Sie die Hände hinein», befahl Noah.
In dem Trog war eine gelbliche Flüssigkeit.
«Was ist das?»
«Johanniskraut. Als Sie eingeschlafen sind, habe ich draußen ein paar Pflanzen gesammelt. Es wird ein wenig brennen, aber die Wunden werden schneller verheilen.»
Sie zögerte.
«Wenn Sie nicht wollen, dass die Hände sich entzünden, sollten Sie tun, was ich sage.»
Charlotte gehorchte. Das Wasser war lauwarm. Zuerst brannte es wirklich, aber dann ließ der Schmerz langsam nach, und die Wunden hörten auf zu
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