Fesseln des Schicksals (German Edition)
verspürte tiefe Trauer. Sie war die Letzte, die noch wusste, was damals geschehen war. Sie hatten Stillschweigen geschworen, und trotzdem hatten sie nichts erreicht. Mollys Tochter würde das gleiche Schicksal erleiden wie ihre Mutter. Sie hatten Charlotte nicht retten können.
«Seien Sie nicht traurig, Miss Hortensia», versuchte Latoya ihre Herrin aufzumuntern. «Mr. Dugan liebt Sie sehr.»
«Ich weiß, Latoya. Er ist ein guter Mann. Aber ich liebe ihn nicht.»
Verwirrt senkte die Sklavin den Kopf. Wenn sie ihn nicht heiraten wollte, warum hatte sie den Antrag dann angenommen?
«Miss Hortensia, wir werden Sie alle sehr vermissen, wenn Sie gehen.»
Hortensia ging einen Schritt auf Latoya zu und umarmte sie.
«Danke», sagte sie mit Tränen in den Augen. «Ich werde euch auch sehr vermissen.»
«Weinen Sie nicht, Miss. Sie werden sehen, dass morgen alles wunderbar wird», sagte Latoya aufmunternd. «Sie werden eine wunderschöne Braut sein, und die Gäste kommen von überall her. Außerdem können Sie uns besuchen, wann immer Sie wollen. Die Plantage von Mr. Ross ist nicht weit weg, und Ihr Vater wird sich sicher freuen, wenn Sie kommen, jetzt, wo er ganz allein geblieben ist.»
Hortensia versuchte zu lächeln.
«Bestimmt. Alles wird gut werden.»
Aber als Latoya aus dem Zimmer ging, setzte Hortensia sich aufs Bett und betete mit ganzer Seele, dass ihre Hochzeit nicht stattfinden würde.
***
Seit Stunden hockten Noah und Charlotte hinter den Ställen und beobachteten das Haus, als endlich das letzte Licht gelöscht wurde.
«Es wurde auch Zeit», sagte Charlotte. «Ich dachte schon, sie würden gar nicht zu Bett gehen.»
«Denk daran», ermahnte Noah sie, «bring Hortensia sofort hierher, sobald du sie gefunden hast. Ich hole meine Mutter. Sei vorsichtig, Charlotte!»
«Du auch, Noah.»
Charlotte trat aus dem Versteck.
«Viel Glück», flüsterte Noah, dann liefen sie beide geduckt in entgegengesetzte Richtungen, Noah zum Hüttendorf und Charlotte zum Haupthaus.
Hortensia saß im Dunkel ihres Zimmers und grübelte über einen Ausweg nach, als sich plötzlich eine Gestalt in ihr Zimmer schlich. Erschrocken hielt sie den Atem an und drückte sich tiefer in den Sessel. Der Schatten bewegte sich vorsichtig in Richtung Bett und flüsterte ihren Namen: «Hortensia.»
Die Verzweiflung hatte ihren Tribut gefordert, dachte Hortensia, die glaubte, die Stimme ihrer Schwester zu erkennen.
«Hortensia», sagte die Stimme wieder.
Die Gestalt blieb stehen, und während sie sich an der Öllampe auf dem Nachttisch zu schaffen machte, brachte Hortensia ein fragendes «Charlotte?» heraus.
In diesem Moment wurde es hell im Zimmer.
«Du bist es!», sagte Hortensia und konnte kaum glauben, was ihre Sinne ihr vorgaukeln wollten. Zögernd streichelte sie Charlottes lächelndes Gesicht. «Du bist es wirklich!», sagte sie erneut und brach in Tränen aus. «Ich habe gebetet, ich habe mir so sehr gewünscht, dich wiederzusehen. Er weiß Bescheid. Er weiß, dass ich Mollys Tochter bin», gestand sie ihrer Schwester voller Angst.
«Ich weiß.»
«Ich habe dich so sehr vermisst, Charlotte. Lass mich nicht wieder allein.»
Die beiden Schwestern verschmolzen in einer Umarmung.
«Niemals», flüsterte Charlotte und ließ endlich ihren Tränen freien Lauf.
***
Auch in dieser Nacht machte Velvet sich darauf gefasst, lange wach zu liegen. Seit Noah von ihr getrennt worden war, schlief sie schlecht. Sie legte sich aufs Bett und wartete vergeblich auf den Schlaf.
Als sie Noah in die Hütte kommen sah, dachte sie, sie wäre endlich eingeschlafen und würde träumen. «Lass mich nicht aufwachen», flehte Velvet die Nacht an, ohne den Blick von Noah abzuwenden.
Jetzt nahm Noah das Gesicht seiner Mutter zwischen seine Hände und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Du schläfst nicht, Mutter. Ich bin es, Noah. Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.»
«Mein Kleiner», sagte sie und nahm ihren Sohn in den Arm. «Aber wie soll das gehen?»
«Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen, Mama. Zieh dich an, wir müssen uns beeilen. Charlotte und Hortensia warten auf uns», sagte er, während er aus den Körben ein paar Kleider und ein Stück Brot für den Weg zusammensuchte. Aber als er das Bündel geschnürt hatte, sah er, dass seine Mutter noch nicht angezogen war.
«Worauf wartest du, Mama? Wir müssen uns beeilen!»
Velvet rührte sich nicht. Sie stand nur da und betrachtete ihren Sohn.
«Ich komme nicht mit.»
Noah
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