Fesseln des Schicksals (German Edition)
Gebiet schien mindestens so groß zu sein wie seine Plantage in Virginia. Welcher Mann war so reich, dass er auf derartige Weise Land verschwenden konnte?
Beglückt nahm Gaston Lacroix die Überraschung auf dem Gesicht seines Gastes wahr.
«Deux Chemins ist für uns ein Ort des Rückzugs.»
Der Spaziergang über das Anwesen dauerte nun bereits eine gute Stunde. Sie entfernten sich nie mehr als hundert Meter vom Haupthaus, aber alle Bäume und Blumen und jede im Garten aufgestellte Statue boten dem Gastgeber einen willkommenen Anlass, stehen zu bleiben und eine Anekdote aus der Familiengeschichte zu erzählen.
Auf Deux Chemins gab es also tatsächlich keine Baumwollfelder. Es hatte sie nie gegeben. Die Hauptplantage lag eine Tagesreise flussaufwärts, zusätzlich besaß Lacroix an anderen Orten des Bundesstaates noch drei weitere Pflanzungen von geringerer Ausdehnung. Die kleinste davon war so groß wie Davids Plantage. Seit sein Großvater Arnaud Lacroix die ersten fünfzig Morgen Sumpfland erworben und dort mit nur fünf Sklaven die erste Pflanzung angelegt hatte, war die Plantagenwirtschaft noch immer eine der Haupteinnahmequellen der Familie, obwohl Gastons Geschäfte sich inzwischen auch auf andere Bereiche ausdehnten.
Er betrieb Sägewerke, Bauunternehmen, Casinos, Handelshäuser, Schiffe … Aber wenn es etwas gab, das den rundlichen Mann reich gemacht hatte, dann war es der Schmuggel. Er hatte sich die veränderten Umstände zunutze gemacht, die der Verkauf Louisianas an die Vereinigten Staaten mit sich gebracht hatte. Tief in den Laderäumen der Schiffe verborgen, wurden die verschiedensten Luxusgüter aus Europa und dem Rest der Welt von Lacroix’ Flotte importiert. Er umging die hohen Zölle, die von der Bundesregierung verhängt worden waren, um den Handel mit Produkten aus den Nordstaaten zu begünstigen. Natürlich hütete David sich, irgendeinen Kommentar darüber zu machen. Schließlich waren es gerade Monsieur Lacroix’ illegale Geschäfte, die ihn hierhergeführt hatten.
Als die beiden Spaziergänger wieder ins Haus zurückkehrten, begaben sie sich in die Bibliothek, einen großen und geräumigen Raum im unteren Teil des Gebäudes. In Leder gebundene Bücher mit Goldschnitt standen geordnet auf Regalen, die bis zur Decke reichten. Das übrige Mobiliar bestand aus einem Schreibtisch und zwei breiten Armsesseln. Dort nahmen die Männer Platz.
David ließ sein Bein ausgestreckt. Nach wie vor konnte er das Knie nur schwer beugen, und die Verletzung hatte ihm den Spaziergang übel genommen.
«Ich habe gelesen, dass es ein harter Kampf war», sagte Lacroix mit einem Blick auf das Bein seines Gastes.
«So ist es», antwortete David und legte instinktiv seine Hand auf den Schenkel. «Die Mexikaner konnten nichts tun. Wahrheit und Gerechtigkeit waren auf unserer Seite.»
«Die Siedler stehen tief in Ihrer Schuld», bemerkte Lacroix nachdenklich.
Trotz seiner Worte war Gaston Lacroix davon überzeugt, dass die amerikanischen Siedler Texas gestohlen hatten. Und es erstaunte ihn, mit welcher Leichtigkeit die Sieger immer wieder vergaßen, was ihnen nicht in den Kram passte. Der junge Leutnant bildete da wohl keine Ausnahme. Schließlich hatte Texas zu Mexiko gehört, seit die Spanier die Neue Welt entdeckt und erobert hatten. Die mehrheitlich amerikanischen Siedler, die seinem Gast zufolge Wahrheit und Gerechtigkeit auf ihrer Seite hatten, hatten schlicht die mexikanischen Gesetze gebrochen, die ihnen verboten, sich auf diesem Territorium anzusiedeln. Und das mit dem stillschweigenden Einverständnis der Regierung in Washington. Ohne sich darum zu scheren, dass das Land ihnen nicht gehörte, hatten sie Häuser und ganze Dörfer gebaut. Und plötzlich schrien selbst die Menschen, die die mexikanische Staatsbürgerschaft schon angenommen hatten, gemeinsam mit den anderen nach Sezession. Es war also nur allzu verständlich, dass sich die Mexikaner angesichts der Verletzung ihrer Hoheitsrechte und deren Tolerierung durch die amerikanische Regierung gezwungen sahen zu handeln. Die Belagerung von Alamo war für niemanden eine Überraschung gewesen, servierte der amerikanischen Regierung allerdings auf dem Silbertablett den perfekten Vorwand, endlich einzugreifen und sich dieses Land anzueignen, auf das sie schon seit Jahren ein Auge geworfen hatte.
Nichts in seinem Gesichtsausdruck verriet Gaston Lacroix’ wahre Gedanken. Dass er seine jetzige Position erreicht hatte, lag an seiner Fähigkeit, seine
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