Fesseln des Schicksals (German Edition)
der dem Protokoll zufolge als Erster seinen Platz einnehmen musste.
«Mr. Parrish, nicht wahr?», fragte freundlich die ältere Dame neben ihm. «Wenn ich mich Ihnen vorstellen darf, ich bin Marie Languelot, und dies ist Mrs. Sophie De Blois», sie deutete auf die etwa fünfundzwanzigjährige junge Dame mit leicht hervorstehenden Augen, die ihm gegenüberstand.
«David Parrish aus Virginia. Zu Ihren Diensten», antwortete David und bedachte die Damen mit einer knappen Verbeugung.
Als Mrs. De Blois lächelte, kamen zwar ein paar ziemlich hübsche Zähne zum Vorschein, doch ihr größter Reiz bestand zweifellos aus ein paar Rubinohrringen und der dazu passenden Kette.
Mrs. Languelot hingegen trug kaum auffälligen Schmuck. In ihrem schneeweißen Haar steckte eine Reihe perlenbesetzter Haarnadeln, die für den akkuraten Sitz der komplizierten Hochfrisur sorgten. Von ihren Ohrläppchen hingen in Trauben Perlengehänge herab, und eine schlichte elfenbeinerne Kamee durchbrach das strenge Schwarz ihres Seidenkleids. Ihre Haltung war aufrecht und elegant, das Gewicht der Zeit hatte ihre Schultern nicht beugen können. Das Kinn hatte sie etwas in die Höhe gereckt, aber niemand hätte das für eine herausfordernde Geste gehalten. Im Gegenteil, Marie Languelot schien eine herzliche und angenehme Frau zu sein.
Endlich erschien Gaston Lacroix in Begleitung eines dünnen Männleins, das die vierzig wohl noch nicht erreicht hatte. Der Mann trug eine runde Metallbrille und einen Anzug, der für die Gelegenheit eigentlich nicht elegant genug war. Lacroix hatte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter gelegt. Nach den beiden betrat Katherine den Raum. Ihr Kleid war ganz in zartem Flieder gehalten, nur eine Schärpe im leuchtendsten Violett betonte ihre schmale Taille. Sie ging am Arm eines hochgewachsenen, dunkelhaarigen jungen Mannes in einem tadellosen grünen Anzug.
Als David feststellte, dass Katherine an ihm vorbeiging und sich stattdessen Lacroix und sein Begleiter neben ihn setzten, wich die Aufregung, die er kurz vor dem Abendessen noch empfunden hatte, einer tiefen Enttäuschung.
Katherine und ihr Begleiter hatten gerade am entgegengesetzten Ende der Tafel Platz genommen, als David spürte, wie jemand diskret an seiner Jacke zupfte. Marie Languelot bedeutete ihm mit einem Blick, dass alle anderen bereits Platz genommen hatten. Sofort setzte er sich.
Lacroix machte es sich in aller Ruhe auf seinem Stuhl bequem. Schließlich lächelte er sichtlich zufrieden.
«Monsieur Parrish. Ich möchte Ihnen unseren Ehrengast vorstellen, Harry Roy Osborn.»
Als der Genannte die singende Aussprache seines Namens hörte, in dem kein R so klang, wie es sollte, zog er missbilligend die Augenbrauen hoch.
«Mr. Osborn», brachte David heraus.
«Monsieur Osborn wohnt ebenfalls auf Deux Chemins, aber nachdem er zwei Wochen bei uns verbracht hat, muss er uns leider morgen schon verlassen.»
David hörte kaum zu. Er war mit seinen Gedanken bei Katherine. Sie hatte ihn noch nicht einmal angesehen. Als er bemerkte, dass Lacroix noch einmal das Wort an ihn gerichtet hatte, fragte er verwirrt nach. «… Bitte?»
«Ich sagte, dass Monsieur Osborn uns morgen verlässt.»
«Das … das tut mir leid.» Nur mit Mühe konnte David sich auf diesen Mann konzentrieren. Zum Glück kam Marie Languelot ihm zu Hilfe. «Mein lieber Gaston, ich glaube, du hast uns noch gar nicht vorgestellt.»
«Mon Dieu!» , rief dieser und griff sich an die Stirn. «Monsieur Osborn, ich möchte Ihnen Marie Languelot vorstellen, die Tante meiner verstorbenen Gattin, eine gute Freundin und die Patin meiner Tochter. Und die schöne Frau an Ihrer Seite ist Mrs. De Blois. Leider befindet ihr Mann sich gerade auf Reisen.»
Osborn murmelte zwar ein paar Worte, die nach einer Begrüßung klangen, würdigte sie aber ansonsten kaum eines Blickes. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, überging Marie Languelot sein rüdes Benehmen und wandte sich an Lacroix. «Gaston, diesmal hast du dich selbst übertroffen», schmeichelte sie dem Gastgeber, während sie bewundernd über das Porzellan und das italienische Kristallglas mit Goldrand strich.
« Merci, ma chère . Aber du weißt doch, dass Katherine sich um diese Details kümmert.»
Schon bei der Erwähnung dieses Namens wurde David wieder von Unruhe gepackt. Der lange Tisch, der ihn von dieser wunderschönen Frau trennte, war für ihn zu einem unüberwindlichen Hindernis geworden. Sie befand sich nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher