Fesseln des Schicksals (German Edition)
zogen sich zurück, und Scott nickte den Schwestern noch einmal zu, bevor er Noah die Treppen hinauf folgte.
«Warum hast du mir nicht gesagt, dass er kommt?», schimpfte Charlotte, als die beiden im ersten Stock verschwunden waren.
«Ich wollte ja.»
«Wann? Nachdem er wieder gegangen ist?»
«Es ist doch nicht so wichtig», verteidigte sich Hortensia. «Es ist sehr großzügig von ihm, dass er Noah hilft. Und du warst wirklich sehr grob!»
«Ich? Grob?», schnaubte Charlotte. «Er ist grob! Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er Noah helfen kann. So schlau kann er ja nicht sein, wenn sie ihn sogar rausgeworfen haben.»
«Ich denke, du irrst dich, Charlotte. Ursula hat mir erzählt, dass er schon in Harvard war, bevor er auf die Marineakademie ging. Und seine ersten Prüfungen waren wirklich brillant.»
«Was soll sie schon sagen. Sie ist seine Cousine. Und wie sie ihn ansieht. Die Arme ist ja vollkommen in ihn verschossen.»
«Und warum auch nicht. Er ist ein gutaussehender junger Mann.»
«Hortensia! Bist du verrückt geworden?»
«Denk, was du willst, Charlotte. Aber solange er Noah hilft, wirst du dich ihm gegenüber korrekt benehmen. Schließlich steht viel auf dem Spiel.»
«Meinetwegen», gab Charlotte nach. «Aber ich werde nicht mit ihm reden.»
***
Fast zwei Stunden verbrachten die beiden Männer in Noahs Zimmer. Noah lernte schnell, aber obwohl seine Kenntnisse in anderen Fächern erstaunlich waren, hatte er in Mathematik nur Basiswissen. Aufmerksam lauschte er Scotts Erklärungen. Er absorbierte jedes Wort und konnte fast so schnell rechnen wie Scott selbst. Sobald Scott ihm eine Aufgabe erklärt hatte, konnte Noah sie ohne langes Überlegen fehlerlos lösen. Scott war beeindruckt. Um Punkt sechs Uhr beschlossen sie, aufzuhören und erst am nächsten Tag weiterzumachen.
«Vielen Dank», sagte Noah, als er ihn zur Tür brachte.
«Es war mir ein Vergnügen.»
Auch Hortensia war aufgestanden, um Scott zu verabschieden. Nur Charlotte war auf ihrem Sessel im Salon sitzen geblieben, von wo sie, hinter der aufgeschlagenen Zeitung versteckt, alles beobachten konnte.
«Ich hoffe, ich bin nicht zu lange geblieben. Es macht wirklich Freude, Noah zu unterrichten.»
«Er war immer schon sehr klug», sagte Hortensia stolz, und zögernd fügte sie hinzu: «Mr. O’Flanagan, vielleicht hätten Sie Lust, mit uns zu Abend zu essen.»
Er überlegte einen Moment. Die Vorstellung war verlockend, vor allem, weil zu Hause nur ein Stück hartes Brot und eine Gemüsesuppe auf ihn warteten.
Für Charlotte kam die unerwartete Einladung genauso überraschend. Mit offenem Mund ließ sie die Zeitung sinken. Doch es war zu spät.
Zwar stand Scott mit dem Rücken zu Charlotte, aber irgendwie konnte er ahnen, dass sie protestierte. Er grinste.
«Ich nehme gern an», sagte er. «Und bitte nennen Sie mich Scott.»
Als sie sich zu Tisch setzten, warf Charlotte einen schrägen Blick auf Scotts Hände. Wieder hatte er die Handschuhe anbehalten.
«Ich möchte meine Tradition, den guten Sitten zuwiderzuhandeln, gern beibehalten», sagte er, ohne die geringsten Anstalten zu machen, die Handschuhe auszuziehen.
Charlotte verzog überheblich das Gesicht. Allerdings weckte diese sonderbare Angewohnheit, seine Hände nicht zu entblößen, langsam ihre Neugierde. Fast kamen Zweifel in ihr auf, ob Scott unter dem schwarzen abgetragenen Leder überhaupt Hände hatte.
Das Tischgespräch fand ohne Charlotte statt. Sie schwieg beharrlich, und wenn Hortensia sich an sie wandte und versuchte, sie in die Konversation mit einzubeziehen, gab sie scharfe und einsilbige Antworten.
Obwohl Scott wusste, dass Charlotte sich nur wegen ihm so verhielt, schien es ihm nicht viel auszumachen. Er war sogar ungewöhnlich höflich und schaffte es sogar, Noah das eine oder andere Lächeln zu entlocken.
«Es war der schönste Abend, den ich seit langem verbracht habe», lobte Scott, als er schließlich gehen musste. «Alles war wunderbar. Sie sind eine großartige Köchin.»
«Danke, Scott», sagte Hortensia lächelnd. Sie hatte sich schnell an den vertrauten Umgangston gewöhnt.
Schweigend stand Charlotte auf und brachte ihren Teller in die Küche, um sich nicht verabschieden zu müssen.
«Es tut mir leid», entschuldigte Hortensia sich für das Verhalten ihrer Schwester. «Sie kann wirklich stur sein.»
«Machen Sie sich keine Gedanken darüber, Hortensia.»
«Ich begleite Sie hinaus, Mr. O’Flanagan», sagte Noah, dem es deutlich
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