Fesseln des Schicksals (German Edition)
Gesellschaftsteil der Zeitung auf. Das am häufigsten kommentierte Ereignis war der Neujahrsempfang im Haus des Gouverneurs. Der Bericht darüber füllte eine ganze Seite. Nur die einflussreichsten Persönlichkeiten des Staates waren eingeladen worden, und Brian, Beatriz und Raymond O’Flanagan tauchten ganz oben auf der Gästeliste auf. Scott dagegen wurde nicht erwähnt. Charlotte stellte sich den Empfang vor, den Luxus, die schönen Kleider und schließlich auch, wie sie selbst in ihrem hübschen neuen Kleid durch die Räume der Gouverneursresidenz spazierte. Sie war vollkommen in ihrer Vision versunken, als es an der Tür klopfte.
«Hortensia! Es ist jemand an der Tür!», rief Charlotte.
Aber Hortensia rührte sich nicht.
«Hortensia!», rief sie wieder, als es schon zum zweiten Mal klopfte. «Verdammt», sagte sie, ließ die Zeitung fallen und nahm die Füße vom Tisch. «Sind denn alle taub?»
Bevor sie die Tür öffnete, setzte Charlotte ein höfliches Lächeln auf.
«Guten Tag», sagte Scott und trat einfach ein, ohne dass sie ihn darum gebeten hätte.
«Was tun Sie denn hier?»
«Anscheinend arbeitet das Schicksal schnell», gab er mit ironischem Unterton zurück. «Wollen Sie mir denn nicht guten Tag sagen?»
«Keineswegs», sagte Charlotte, die immer noch die Türklinke in der Hand hielt.
In diesem Moment erschien Hortensia. Sie hatte in der Küche gearbeitet und trug noch eine Schürze.
«Guten Tag, Miss Hortensia.»
«Guten Tag, Mr. O’Flanagan», grüßte Hortensia, die überhaupt nicht überrascht wirkte. «Entschuldigen Sie meinen Aufzug, aber wir haben Sie so früh nicht erwartet.»
«Das tut mir leid», sagte er. «Ich bin früher fertig geworden und dachte, es wäre nicht schlecht, so früh wie möglich anzufangen.»
Misstrauisch verfolgte Charlotte das Gespräch. Offensichtlich hatte Hortensia gewusst, dass Scott O’Flanagan an diesem Nachmittag kommen würde. Warum hatte sie ihr nichts davon gesagt?
«Ich hoffe, ich störe nicht?»
«Aber nein», beruhigte ihn Hortensia. «Noah ist in seinem Zimmer. Ich sage ihm gleich Bescheid. Treten Sie doch erst einmal ein.» Hortensia geleitete ihren Gast in den kleinen Salon. Dann hob sie die Zeitung vom Boden auf und legte sie auf das Tischchen.
Neugierig sah Scott sich im Raum um, und sobald er ihnen für einen Moment den Rücken zugekehrt hatte, warf Charlotte ihrer Schwester wütende Blicke zu.
«Sie haben ein sehr gemütliches Heim», sagte er plötzlich und drehte sich wieder zu den Schwestern um. Charlotte setzte sofort ein etwas verkrampftes Lächeln auf.
«Ich hole Noah», sagte Hortensia. «Meine Schwester wird Ihnen so lange Gesellschaft leisten.» Sie deutete auf das Sofa.
«Schöne Feier», sagte Scott, als er die Überschrift des Gesellschaftsteils sah, während Charlotte so weit von ihm wegrückte, wie es irgend ging.
«Sie waren ja offensichtlich nicht eingeladen.»
«Nein. Aber ich mag solche Veranstaltungen auch nicht besonders.»
«Ach ja?»
«Sie glauben mir nicht?», fragte er und sah sie fest an.
«Ich muss Ihnen wohl nicht antworten», gab Charlotte zurück und mied den beunruhigenden Blick seiner dunklen Augen. «Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, wüsste ich jetzt gern, was Sie in meinem Haus zu suchen haben.»
Scott lehnte sich bequem im Sofa zurück.
«Ich würde Ihnen gern sagen, dass ich gekommen bin, um Sie zu sehen, aber das wäre wohl eine Lüge.»
Charlotte runzelte die Stirn.
«Ich möchte Noah besuchen.»
«Noah?»
Scott nickte.
«Was haben Sie mit meinem Bruder zu schaffen?»
«Er hat sich angeboten, mir bei den Vorbereitungen für die Aufnahmeprüfung zu helfen. Und ich habe das Angebot angenommen», beantwortete Noah ihre Frage, als er in den Salon trat.
Sofort sprang Scott auf und ging auf ihn zu. Herzlich schüttelten die beiden Männer sich die Hände.
«Ich kann Hilfe gebrauchen. Vor allem in Mathematik», erklärte Noah zu Charlotte gewandt.
«Aber Sie sind doch Anwalt.»
«Sicher», sagte Scott. «Aber Sie sollten wissen, dass ich beinahe an der Marineakademie meinen Abschluss gemacht hätte. Die dortige mathematische Ausbildung hat einen ausgezeichneten Ruf.»
«Nun, ich habe gehört, dass man Sie dort hinausgeworfen hat.»
«Charlotte!», rief Hortensia sie zur Ordnung, die im selben Moment ohne Schürze und mit zurechtgemachtem Haar wieder hereingekommen war.
«Bitte verzeihen Sie», sagte Noah entschuldigend.
«Kein Problem», lächelte Scott.
Die beiden Männer
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