Fesseln des Schicksals (German Edition)
schwerer fiel, die förmliche Anrede wegzulassen.
Erst als Charlotte die Tür ins Schloss fallen hörte, kam sie wieder aus der Küche. «Ich dachte schon, er würde nie gehen!», brach es wütend aus ihr heraus.
Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, stützte die Ellenbogen auf und legte ihr Kinn in die Hände. «So ein Grobian!», sagte sie und schüttelte den Kopf, während Noah mit einem Stapel Teller in der Küche verschwand.
Als er in den Salon zurückkam, stand nur noch der Wasserkrug auf dem Tisch. «Ich kümmere mich um den Rest», sagte Hortensia. «Du kannst ruhig schon schlafen gehen.»
«Aber wir müssen noch abwaschen, Hortensia …»
«Mach dir keine Sorgen. Charlotte wäscht heute ab.»
Sobald Noah in sein Zimmer gegangen war, stand Charlotte auf. «Ich will nicht, dass du diesen Menschen noch einmal einlädst.»
Hortensia sah ihre Schwester direkt an. «Nun, Charlotte, ich fürchte, dass wir uns ausnahmsweise einmal nicht nach deinen Wünschen richten können», sagte sie ruhig. «Ich werde Scott auch morgen zum Abendessen einladen.»
«Das wirst du nicht!», protestierte Charlotte.
«Es reicht, Charlotte!», brach es aus Hortensia heraus, und sie schlug mit der Hand auf den Tisch. «Es kann nicht immer nur darum gehen, was du willst oder nicht willst. Du warst wirklich sehr unhöflich heute.»
«Ich?», protestierte sie und legte sich empört die Hände aufs Herz. «Er zieht sich ja nicht einmal die Handschuhe zum Essen aus.»
«Vergiss nicht, dass er Noah hilft. Schon aus Respekt vor deinem Bruder solltest du dich etwas zusammennehmen. Außerdem hat seine Cousine Ursula mir erzählt, dass er kaum Geld verdient. Wenn seine Mutter sich nicht persönlich darum kümmern würde, ihm etwas zu schicken, hätte er nicht einmal etwas Richtiges zu essen.»
«Immer diese Ursula! Wenn er kein Geld verdient, dann weil er nicht will.»
«Wie du meinst, Charlotte. Aber du wirst morgen trotzdem nett zu ihm sein.»
«Meinetwegen», gab Charlotte nach und zog die Nase kraus. «Und jetzt gehe ich schlafen.»
Hortensia sah Charlotte nach, die die Treppen hinaufstieg. Dann ging sie in die Küche und betrachtete seufzend den Stapel Teller, den sie jetzt wohl doch allein abwaschen musste.
***
Am nächsten Abend kamen Noah und Scott um Punkt sechs Uhr ins Esszimmer hinunter.
Charlotte wollte nicht mit ihrer Schwester streiten, aber vor allem hätte sie es ohnehin kaum ausgehalten, einen zweiten Abend zu schweigen, und schon gar nicht, da sich die Unterhaltung um gesellschaftlichen Klatsch drehte. Scott unterrichtete sie über den letzten Skandal, der die gute Bostoner Gesellschaft erschüttert hatte. Ein junger Erbe war mit einem Dienstmädchen davongelaufen.
«Unglaublich», rief Hortensia, nachdem sie die ganze Geschichte gehört hatten.
«So ist es. Und umso mehr, da seine Eltern ihn enterbt haben», fügte Scott hinzu.
«Er muss sie sehr lieben», seufzte Hortensia.
«Unsinn», sagte Charlotte. «Ich möchte vielmehr wissen, wie lange die Liebe anhält, wenn sie weiterhin kein Geld haben.»
«Wie kannst du nur so gefühllos sein?»
«Ich bin nicht gefühllos, Hortensia. So ist das eben.»
«Sie würden also nur einen reichen Mann heiraten?», fragte Scott interessiert.
«Davon können Sie ausgehen.»
«Charlotte!»
«Ihr wolltet doch die Wahrheit hören. Nun, das ist die Wahrheit. Wenn eine Frau schon heiraten muss, dann wenigstens einen reichen Mann. Liebe existiert nicht. Meinst du nicht, Noah?»
«Ich weiß nicht. Ich war noch nie verliebt.»
«Da seht ihr.»
«Aber das heißt nicht, dass ich nicht an die Liebe glaube», erklärte Noah. «Ich denke, dass die Unterschiede vielleicht manchmal zu groß sind. Es gibt Verbindungen, die nicht halten können.»
«Ich bin nicht dieser Meinung», widersprach Scott. «Ich glaube, die Liebe kann alles überwinden.»
«Ich fürchte, Sie sind ein Romantiker, Scott», sagte Hortensia. «Ich könnte das nicht. Ich glaube, mir würde der Mut für eine solche Verbindung fehlen.»
Es war erstaunlich, wie leicht es Hortensia fiel, so offen mit Scott zu sprechen. Eigentlich war sie viel zu schüchtern, ihre Meinung zu einem solchen Thema zu äußern, noch dazu vor einem Mann, der nicht zur Familie gehörte.
«Wie schade, liebe Hortensia. Und Sie, Charlotte?»
«Ich?»
«Ja, Sie», drängte Scott und sah ihr tief in die Augen.
«Ich würde so etwas nie tun», behauptete sie, spürte aber gleichzeitig, wie ihr Herz etwas ganz anderes sagte. Selbst
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