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Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
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Halsschleife, Strümpfe und glänzend schwarze Stiefel. Alles für ihn. Und noch dazu war es vollkommen neu. Herrin Katherine hatte die Kleider extra für ihn in Richmond anfertigen lassen.
    Bisher hatte Noah immer nur Gebrauchtes getragen, und allein bei dem Gedanken, dass vor ihm noch niemand in den Sachen gesteckt hatte, fühlte er sich wie jemand ganz Besonderes.
    Seitdem Noah im Besitz der Schachtel war, hatte er sie nicht ein einziges Mal auf den Boden der Hütte gestellt. Sie war das Schönste, was er je besessen hatte, und sollte auf keinen Fall dreckig werden. Die Schachtel war so grün wie der Buntstift, mit dem Miss Hortensia gezeichnet hatte, als Noah im Herrenhaus gewesen war. Und wenn Noah abends schlafen ging, befolgte er von nun an ein strenges Ritual. Zuerst sah er nach, ob sich seine neuen Kleider noch alle im Inneren der Schachtel befanden. Danach legte er sie vorsichtig aufs Bett und streckte sich daneben aus. Und als wäre die Schachtel ein lebendiges Wesen, gab er ihr sogar ein Stück seiner Decke ab und legte einen Arm um sie, damit niemand sie ihm wegnehmen konnte, während er schlief. Lange bevor die Sonne hinterm Horizont versank, sein Schatz in der Dunkelheit die leuchtende Farbe verlor und all seines Zaubers beraubt zu einem grauem Umriss wurde, senkten sich schon Noahs Lider. Damit war der Weg frei in eine Welt voller Farben und Orte, die er sich bis zu seinem Besuch im Herrenhaus nicht hätte vorstellen können. Strände aus feinstem Sand, verschneite Gipfel und mächtige, feuerspuckende Drachen. Die Bilder, die er dort auf den Gemälden und Vasen erblickt hatte, wurden in seinen Träumen lebendig. Und beim Aufwachen, wenn die Morgensonne seiner schönen, grünen Schachtel ihren Glanz zurückgegeben hatte, betrachtete er sie zufrieden und stellte hoffnungsfroh fest, dass nicht alles, was er sich vorgestellt hatte, nur Phantasien waren.
    Sogar Jeremias kam, um sich den Karton anzusehen. Als er ihm seinen kostbaren Schatz zeigte, nickte sein sonst so schwer zu beeindruckender Freund nur langsam voller Bewunderung und Neid.
    Endlich kam der Tag, an dem Noah die neuen Kleider anziehen durfte. Als er aufstand, war er so ungeduldig, dass er den Maisfladen, den er zum Frühstück bekam, nicht aufessen konnte. An diesem Tag hätte er nicht einmal einen Brotkrümel hinunterbekommen. Er fühlte sich, als hätten sich hundert Schmetterlinge verabredet, gleichzeitig in seinem Bauch mit den Flügeln zu schlagen.
    Mit der größten Sorgfalt zog Noah sich an. Seine Mutter half ihm, das Hemd zuzuknöpfen, und band ihm die schwarze Schleife um den gestärkten weißen Kragen. Obwohl er kaum atmen konnte, widersprach er nicht. Wenn die gezierten weißen Herren diesen unbequemen Strick klaglos um den Hals trugen, dann konnte er das auch. Schließlich war er zur Hälfte weiß. Dann legte er die Hosenträger an und machte sich ganz zum Schluss für die schlimmste Tortur bereit, nämlich die glänzend schwarzen Lederstiefel anzuziehen, die seinem Aufzug den letzten Schliff gaben.
    Ganz vorsichtig steckte er die Füße in die Stiefel und stellte ungläubig fest, dass sie ohne den geringsten Widerstand hineinschlüpften. Die Stiefel waren weich und geschmeidig. Er konnte sogar die Zehen frei bewegen. Auf seiner Haut sah man noch immer die Abschürfungen und Blasen, die er von den alten Stiefeln davongetragen hatte. Jetzt aber taten sie nicht mehr weh, weil ein weiches Paar weißer Baumwollstrümpfe seine Wunden schützte.
    «Vergiss nie, wer du bist», sagte seine Mutter mit tiefer Traurigkeit. «Du bist ein Sklave, und du wirst in diese Hütte zurückkehren und auf den Feldern arbeiten, bis deine Hände bluten. Nimm von dort mit, was du kannst, aber vergiss nicht, wo du hingehörst. Vergiss es nicht, Noah, sonst wirst du nicht glücklich sein.»
    Velvet musste auf die Felder. Bevor sie die Hütte verließ, gab sie ihrem Sohn einen Kuss. Noah setzte sich und wartete geduldig, bis er zu seiner ersten Schulstunde gehen konnte.
    ***
    Ein paar Stunden später betrat Katherine das Zimmer ihrer Töchter. Die dicken Samtvorhänge hielten jeden Sonnenstrahl ab, der den Schlaf der Mädchen stören könnte. Katherine ließ die Tür angelehnt, und der schmale Lichtstreifen, der aus dem Flur hineinfiel, leitete sie durch das Zimmer. Als sie die schweren Vorhänge zurückzog, wurde der Raum von Helligkeit durchflutet.
    Die Möbel erwachten aus ihrem langen nächtlichen Schlaf. Die goldenen Nieten der Lampen funkelten, die

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