Fesseln des Schicksals (German Edition)
einem Heft malte. Sie trug passend zu ihren Augen hübsche blaue Schleifen in den goldenen Locken. Charlotte schließlich kniete zu Füßen ihres Vaters auf dem Teppich und versuchte, einer weißen Angorakatze ein Wollknäuel zu entreißen.
Als Katherine die Anwesenheit des Jungen bemerkte, unterbrach sie ihre Beschäftigung.
«Noah, tritt ein», bat sie ihn lächelnd.
Zögernd blickte der Junge auf den elegant bedruckten Teppich zu seinen Füßen.
«Nur herein», munterte Katherine ihn auf und legte ihre Arbeit auf einer der Armlehnen ab.
Mit unsicheren Schritten ging Noah auf seine Herrin zu und blieb ein paar Meter vor ihr stehen.
Jetzt legte auch Hortensia ihren grünen Stift hin und lächelte ihm zu. Charlotte hingegen beachtete ihn nicht im Geringsten. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, das arme Tier zu ärgern, das nur mit Mühe das gelbe Knäuel zwischen den Pfoten festhalten konnte.
Auch Master David blickte nicht von seinen Papieren auf.
«Du bist jetzt acht Jahre alt, oder?», fragte Katherine, die noch immer lächelte.
«Ja, Herrin Katherine. Ich bin im Dezember acht geworden.»
«Dann wirst du bei der nächsten Ernte auf dem Feld arbeiten, nicht wahr?»
«Ja, Herrin Katherine.» Wie seine Mutter ihm geraten hatte, antwortete er so knapp wie möglich. Fast wurde er ein bisschen ungeduldig. Er verstand nicht, was sein Bad an der Flussbiegung mit der Tatsache zu tun hatte, dass er acht war. Andererseits wollte die Herrin es vielleicht wissen, um ihn dem Alter entsprechend bestrafen zu können. Bei diesem Gedanken stieg ihm das Blut in die Wangen.
«Langsam wird ein kleiner Mann aus dir, Noah», sagte Katherine, ohne zu bemerken, wie nervös der Junge war. «Ich dachte, dass du vielleicht gerne lesen und schreiben lernen willst.»
Mit weitaufgerissenen Augen starrte Noah seine Herrin an. Herrin Katherine nahm ihn gewiss auf den Arm oder, schlimmer noch, war vollkommen verrückt geworden. Sogar er, der nur ein Kind war, wusste, dass es in den Südstaaten gesetzlich verboten war, Sklaven das Lesen und Schreiben beizubringen.
Eine andere Person im Raum wirkte beinahe noch überraschter als Noah selbst. Charlotte achtete plötzlich nicht mehr auf die Katze, die diese Unaufmerksamkeit ausnutzte und sich blitzschnell mit dem Wollknäuel ins andere Ende des Zimmers verzog. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie den Eindringling an und wandte sich empört ihrer Mutter zu. Aber anscheinend hatte sie es sich im letzten Moment anders überlegt, denn anstatt irgendetwas zu sagen, presste sie die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn. In den ausdrucksvollen smaragdgrünen Augen, die hinter dichten Wimpern verborgen waren, konnte man erkennen, dass sich ein Unwetter ankündigte.
«Was sagst du, Noah, bist du einverstanden?», fragte Katherine und nickte ihm ermunternd zu.
Noah wollte gerade antworten, als er sah, wie Master David plötzlich missgelaunt seine Miene verzog. Dann legte er geräuschvoll die Zeitung weg, stand abrupt auf und verließ das Zimmer. Erschrocken schielte Noah ihm hinterher.
«Du wirst vormittags mit Charlotte und Hortensia lernen und am Nachmittag auf dem Feld arbeiten. Einverstanden?»
Automatisch nickte der Junge.
Heftige Unruhe hatte ihn ergriffen, seit Master David so plötzlich gegangen war. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Warum er?, fragte er sich und konnte nicht glauben, was geschah. Aber dann auf einmal wurde ihm alles klar. Immer schon hatte die Antwort direkt vor ihm gelegen, obwohl er sie bis jetzt nicht hatte verstehen können. Master David war sein Vater!
Aber nein, das konnte nicht sein. Wenn er der Sohn des Herrn war, warum war er dann ein Sklave und hauste mit seiner Mutter in einer Bretterbude auf der nackten Erde, während der Herr mit seiner Frau und den anderen Kindern in einem schönen Haus wohnte? Es war unmöglich, und doch …
Die unbequemen Stiefel waren vergessen, dafür brodelte es in seinem Kopf. Nie hatte man offen mit ihm gesprochen, aber er hatte mitbekommen, dass man heimlich über seine Herkunft tuschelte. Einmal hatte er sogar seine Mutter gefragt. Aber er hatte damit nur erreicht, dass sie ganz traurig wurde und ihm erzählte, dass sein Vater sie verlassen musste, als er noch ganz klein war. Noah hatte immer gewusst, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte, denn seit seiner Geburt, und sogar lange Zeit davor, war kein einziger Sklave aus New Fortune verkauft worden. Aber auf jeden Fall hatte er begriffen, dass diese Frage
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