Fesseln des Schicksals (German Edition)
musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass ihr Vater hinter ihr stand. Edgar nutzte die Gelegenheit, um sich rasch aus dem Staub zu machen, hatte aber das Pech, direkt in seinen Vater zu laufen, der ihn sofort am Kragen packte.
David wandte den Blick nicht von seiner Tochter. «Hast du den Verstand verloren?»
Charlotte brachte keinen Ton heraus.
Jetzt war auch Quentin herangekommen und zerrte seinen Sohn beiseite. «Was zum Teufel ist passiert, Orante?», schalt ihn sein Vater mit beherrscht leiser Stimme. «Habe ich dir nicht gesagt, dass du auf deine Cousinen aufpassen sollst?»
«Es tut mir leid, Vater», antwortete Orante beschämt. «Ich hätte niemals erwartet, dass Charlotte auf Edgar losgeht.»
«Aber was ist denn passiert?», hakte Quentin nach. Vorsichtig sah er sich um und vergewisserte sich, dass sonst niemand sie hören konnte. Dann blickte er seinem Sohn direkt in die Augen.
«Edgar hat Tante Katherine Negerliebchen genannt.»
Sofort hielt Quentin seinem Sohn so heftig den Mund zu, dass dieser befürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Quentin, sah sich um. David stand zwar in der Nähe, hatte aber genug damit zu tun, mit seiner Tochter zu schimpfen. Er konnte nicht gehört haben, was Orante gerade gesagt hatte.
«Um nichts in der Welt wirst du dieses Wort wiederholen», befahl Quentin so leise er irgend konnte.
Orante nickte. Er war alt genug, um die Folgen einer solchen Anschuldigung einschätzen zu können. Dicke Tropfen kalten Schweißes liefen Quentin den Rücken hinunter. Wenn seine Nichte etwas verlauten lassen würde, könnte sich die Hochzeit seiner Tochter in eine Tragödie verwandeln.
Inzwischen hatte Katherine sich neben Charlotte auf den Boden gekniet und versuchte ohne großen Erfolg, ihr Kleid wieder etwas herzurichten. Unter dem Dreck und den Knitterfalten konnte man kaum noch die mit Seidenfäden gestickten blauen Blümchen erkennen, die den weiten Faltenwurf des Leinenrockes schmückten. Katherine griff nach der Haarschleife, die Charlotte im Eifer des Gefechts verloren hatte, strich sie ein wenig glatt und band ihrer Tochter einen neuen Zopf.
«Was ist bitte in dich gefahren, Charlotte?»
«Nichts», sagte sie und vermied es, ihre Mutter anzusehen.
Nicht weit davon entfernt hielt Edmond Carmody seinen Sohn noch immer am Kragen gepackt. «Bist du wahnsinnig geworden?», schalt er den Jungen leise. «Was fällt dir ein, dich in der Öffentlichkeit mit einem Mädchen zu prügeln? Mit David Parrishs Tochter! Und du, Adam, warum hast du das zugelassen?»
Adam senkte den Kopf.
«Vater, ich schwöre, dass ich nichts dafür kann», verteidigte sich Edgar. «Wie ein wildes Tier hat sie sich auf mich gestürzt. Sie ist verrückt!»
Edmond zerrte noch etwas kräftiger an der Halsbinde seines Sohnes und ermahnte ihn, die Stimme zu senken.
Als Katherine bemerkte, dass auch Edgar schmutzig und derangiert aussah und vergeblich versuchte, sich vor seinem Vater in Sicherheit zu bringen, lächelte sie insgeheim. Wenigstens hatte der junge Mann genauso viele Federn lassen müssen wie ihre Charlotte.
Da Charlotte sich weigerte, etwas zu sagen, wandte Katherine sich Hortensia zu, um nach Antworten zu suchen. Aber Hortensia war vollkommen verschreckt. Angst lähmte jeden Muskel ihres Körpers. Jetzt wurde Katherine ernst. Sie kannte ihre beiden Töchter viel zu gut. Irgendwie musste der junge Carmody Hortensia verletzt haben. Das war etwas, was Charlotte niemals duldete. Jeder, der Hortensia angriff, würde Charlottes Zorn zu spüren bekommen. Und wenn man Edgar so ansah, hatte er seine Lektion hoffentlich gelernt.
Noch immer stand Charlotte vor ihrem Vater. Sie hatte noch nichts gesagt, und ihr Blick war starr auf Edgar geheftet.
«Entschuldige dich», befahl David seiner Tochter.
Charlotte ballte ihre Hände zu Fäusten.
«Hast du mich nicht gehört?»
Charlotte blickte zur Seite. Sie war zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses geworden.
«Zwing mich nicht dazu, das noch einmal zu sagen, Charlotte!»
Das Mädchen sah seinen Vater an, der dicht vor ihm stand und sich zu ihm heruntergebeugt hatte. Seine blauen Augen blickten sie hart an. So hatte er sie noch nie angesehen, und sie spürte einen Stich in der Brust. Am liebsten wollte sie erzählen, was passiert war, aber niemand sollte erfahren, was der gemeine Edgar Carmody über ihre Mutter gesagt hatte.
«Entschuldige dich jetzt sofort», drängte David erneut.
Charlotte zögerte. Alle starrten sie an. Ihr Vater war
Weitere Kostenlose Bücher