Fesseln des Schicksals (German Edition)
ein.
Es dämmerte bereits, und der Raum war in das zarte Licht getaucht, das das Ende des Tages ankündigte.
«Siehst du jetzt, was du mit deiner liberalen Erziehung erreicht hast?», schimpfte David.
«Dann sag mir mal, was ich erreicht habe. Dass meine Töchter sich verteidigen, wenn sie beleidigt werden? Dass sie keinen Mann brauchen, der ihnen zu Hilfe kommt? Dass sie eigenständige Frauen sind?»
«Nein, Katherine. Du hast nur erreicht, dass deine Tochter sich vor der gesamten Gesellschaft Virginias wie eine Wilde aufgeführt hat. Merkst du denn nicht, was um dich herum vorgeht?»
«Vor allem habe ich bemerkt, dass dieser dumme Junge Hortensia verletzt hat.»
«Ich verstehe. Du willst also, dass deine Töchter sich mit allen duellieren, die sie beleidigen?»
«Machen das die Männer etwa nicht auch?»
«Werd jetzt bitte nicht zynisch.»
«Dann stell mir nicht solch alberne Fragen! Du weißt genau, dass ich das nicht will. Ich möchte einfach, dass sie eigene Meinungen und Gedanken haben und auch mal anderer Ansicht sind als ihr Vater, ihr Cousin oder die Leute.»
David war kurz davor, die Fassung zu verlieren.
Eine Frau, auch wenn sie noch so viel Charakter und Temperament hatte, war nur eine Frau und brauchte einen Mann. Selbst Katherine brauchte ihn, auch wenn sie es sich nicht eingestand.
«Du bist das Problem, Katherine. Glaubst du, ich weiß nicht, was die Leute über dich reden? Glaubst du, ich weiß nicht, warum die Kinder aneinandergeraten sind? Ich habe gehört, was Orante Quentin erzählt hat. Du warst der Grund für den Streit, Katherine … Negerliebchen haben sie dich genannt.»
«Das war es also», sagte Katherine ruhig.
«Wenn mir das jeder, der so denkt, ins Gesicht sagen würde, müsste ich mich mit dem halben Staat Virginia schlagen», ereiferte sich David.
«Sollen sie doch reden! Es ist mir egal, was sie von mir denken oder über mich sagen.»
«Mir aber nicht!» David schrie zum ersten Mal. «Und deinen Töchtern auch nicht! Aber du wirst Ausgestoßene aus ihnen machen! Ist dir das denn egal?»
Katherine ließ sich nicht erschüttern. Sie drehte ihm den Rücken zu. Sie konnte nicht ertragen, wenn er sie anschrie.
«Nur zu, beachte mich einfach nicht. Das kannst du am besten.»
«Du hast es nicht anders verdient, David. Wir hätten glücklich werden können. Du könntest noch immer der junge Mann sein, in den ich glaubte, mich verliebt zu haben, aber du hast mich betrogen. Du hast mir sehr wehgetan.»
«Es war ein einziges Mal. Es tut mir leid. Ich bereue es seit jenem Tag. Werde ich denn mein ganzes Leben lang für diesen Fehler bezahlen müssen? Haben wir uns nicht genug bestraft? Ich liebe dich noch immer, Katherine. Ich will bei dir sein.»
David streckte seine Hand nach Katherine aus.
Katherine spürte, wie die Mauer um sie herum zu bröckeln begann. David war noch immer ein attraktiver Mann. Und vorher hatte er sich nie entschuldigt. Wenn sie ihm verzieh, könnte alles so sein wie vorher. Sie wäre nicht mehr allein.
«Ich …», sie zögerte. Es war, als würde sie in ihm den Menschen wiedererkennen, in den sie sich damals verliebt hatte. Er war immer dort gewesen.
«Du hast dich so verändert …»
«Vielleicht bist du diejenige, die sich verändert hat. Vergiss nicht, dass du so warst wie ich.»
«Ja, das war ich. Und du wirst nie verstehen, wie sehr ich mich dafür schäme», sagte sie, und bevor er sie berühren und ihre Wut unter der Wärme der Liebkosung verrauchen konnte, zog sie schnell ihre Hand zurück.
«Wirst du mir denn niemals verzeihen?»
«Ich kann es nicht, David. Dein Verrat hat mein Herz kalt gemacht.» Eilig verließ Katherine die Bibliothek.
David ging ihr nicht nach.
Am Tag darauf brach er beim ersten Licht der Morgendämmerung nach Richmond auf. Dort wenigstens konnte ihm das Gefühl von Trauer und Ohnmacht nichts anhaben, das er in Katherines Nähe verspürte, mit ihrem perfekt unter einem Mantel von Gleichgültigkeit versteckten Hass.
***
Latoya war mit einem Tablett mit Pfirsichkonfitüre, Toast und dünn geschnittenem Käse ins Zimmer der Mädchen hinaufgegangen. Aber Hortensia hatte keinen Appetit, und selbst Charlotte, die nichts mehr zu sich genommen hatte, seit sie das Tortenstück am Nachmittag hinuntergeschlungen hatte, rührte nichts an. Als Hortensia sich die Schlafhaube aufsetzte, drehte sie sich zu ihrer Schwester um, die schon unter die Decke geschlüpft war und deren verlorener Blick auf dem Schatten der
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