Fesseln des Schicksals (German Edition)
Tränen in die Augen traten. Charlotte, die in ihrer Nähe stand, hielt wütend den Atem an. Wie konnte dieser arrogante Edgar Carmody es wagen, Hortensia und ihre ganze Familie vor aller Welt zu demütigen.
Es war Orante bewusst, dass er, als nächster männlicher Verwandter, etwas unternehmen musste. Gerade hatte Edgar seine Tante mit der schlimmsten Beschimpfung bedacht, die es für eine Frau in den Südstaaten gab. Aber er war wie gelähmt und wusste nicht, wie er reagieren sollte.
Da kam ihm sein Freund Richard zu Hilfe. «Edgar, sofort wirst du dich entschuldigen.»
Aber Edgar machte keine Anstalten, klein beizugeben, und schwieg verbissen. Aus irgendwelchen Gründen hatte sein unentschuldbares Verhalten ihm offensichtlich Lauras Bewunderung eingebracht, und er war nicht bereit, diese so schnell wieder aufzugeben.
Richard wiederholte seine Worte. «Ich verlange, dass du dich entschuldigst!», sagte er in einem drohenden Tonfall und trat einen Schritt vor.
Erst jetzt schien Edgar zu begreifen, dass die Situation ernst war. Sein Bruder Adam war leichenblass geworden.
Im Hintergrund kündigten Geigenklänge den beginnenden Tanz an. Nur ein paar Meter weiter bildeten die Gäste anmutig einen Kreis um die Jungverheirateten und begleiteten die Melodie mit Händeklatschen, um das junge Paar dazu zu ermuntern, die ersten Schritte in ihrem gemeinsamen Leben zu tun. Silvia und Jonathan Perelman schienen über die Tanzfläche zu schweben, weit weg von den anderen Paaren, die nach und nach den Kreis verließen und sich den Tanzenden anschlossen.
Trotzdem bemerkten auch einige andere Gäste bald die jungen Leute, die wie erstarrt neben der Tanzfläche standen.
Langsam wurde Edgar bewusst, dass sein Verhalten sich besser nicht herumsprechen sollte. Wenn sein Vater erführe, dass er die Frau und die Tochter eines der mächtigsten Männer von Virginia beleidigt hatte, würde er ihn umbringen. Und die Angst vor dem Zorn seines Vaters war stärker als sein jugendliches Ego. «Mach schon, Edgar …» Sein Bruder Adam ermahnte ihn mit einem diskreten Schubser.
«Hortensia, ich bitte dich um Verzeihung», brachte er schließlich widerstrebend heraus.
Hortensia nickte stumm. Am liebsten wäre sie vom Erdboden verschluckt worden. Sie fühlte sich nicht in der Lage, jemandem in die Augen zu sehen, so sehr schämte sie sich. Zum Glück hatte niemand auf dem Ball bemerkt, was passiert war. Das hätte sie nicht ertragen.
Die Anspannung legte sich etwas, und bald konnte man fast den Eindruck gewinnen, als ob nichts geschehen wäre. Aber es war geschehen, und Hortensia war der lebende Beweis dafür. Charlotte hatte sie die ganze Zeit beobachtet. Zwar hatte Hortensia ihr beruhigend zugelächelt, aber ihre sanften Augen bewegten sich nervös hin und her und versuchten, den mitleidigen Blicken auszuweichen. Sie litt, und Charlotte konnte nicht ertragen, dass derjenige, der Schuld daran hatte, einfach so davonkommen sollte.
«Und trotzdem bleibt sie ein Negerliebchen», bekräftigte Edgar jetzt noch einmal im Flüsterton für sich, leise genug, damit es Richard, Orante, Gilmore und seinem Bruder Adam entging, die in einer gewissen Entfernung beieinanderstanden, aber doch so laut, dass Laura und William es deutlich hören konnten.
Vielleicht bemerkte er gar nicht, dass noch jemand seine Worte hörte, allerdings wirkte es beinahe so, als hätte er sie mit Absicht wiederholt, um Hortensia erneut zu verletzen. Aber der junge Carmody hatte nicht mit Charlotte gerechnet.
Plötzlich stürzte sich jemand auf ihn, und Sekunden später lag er am Boden. Dieses vierzehnjährige Mädchen, das ihm nicht einmal bis zu den Schultern reichte, hatte ihn umgeworfen. Er konnte nicht glauben, was ihm geschah. Wie eine wilde Bestie schlug Charlotte auf ihn ein und zog ihn an den Haaren, als hätte sie auf einmal den Verstand verloren. Eine so kleine Person konnte unmöglich so viel Kraft entwickeln. Und Edgar konnte nichts tun. Hätte er zurückgeschlagen, wäre sein Ruf für den Rest seines Lebens ruiniert. Er versuchte also, sie abzuschütteln, was ihm jedoch nicht so schnell gelang. Und noch bevor er sich von ihr befreien konnte, war die Musik verstummt.
Jetzt versuchten Richard und Orante, Charlotte von Edgar zu trennen, konnten sie aber kaum halten.
«Charlotte Parrish!»
Beim Klang dieser Stimme ließen Richard und Orante schlagartig von dem Mädchen ab. Charlotte erstarrte, als hätte man sie wie einen Pfosten in die Erde gerammt. Sie
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