Fesseln des Schicksals (German Edition)
Zypresse ruhte, der sich auf dem Fenster abzeichnete.
«Geht es dir gut?»
Charlotte antwortete nicht. Sie war mit den Gedanken weit weg.
«Als ich gesehen habe, wie du auf Edgar losgegangen bist, hatte ich schon Angst, er würde dich schlagen. Ich bin furchtbar erschrocken», sprach Hortensia weiter.
«Niemand beleidigt meine Familie!»
«Was wollte Edgar wohl damit sagen?»
«Vergiss ihn einfach. Edgar war schon immer ein Idiot. Er weiß nicht, was er sagt.»
«Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als du dich auf ihn gestürzt hast.»
Als Charlotte sich an Edgars ungläubigen Gesichtsausdruck erinnerte, musste sie grinsen. «Hortensia, hast du gesehen, wie sein Vater ihn am Kragen festhielt?»
Die Schwester nickte.
«Er sah aus wie ein begossener Pudel. Im Leben habe ich noch nie jemanden gesehen, der so lächerlich aussah.»
Die beiden Mädchen lachten.
«Charlotte?»
«Ja?»
«Du warst großartig.»
Charlotte schwieg einen Moment lang. Sie wollte den jüngsten Spross der Carmodys so schnell wie möglich aus ihren Gedanken verbannen. In ihrem Kopf war nur noch Raum für einen anderen Menschen.
«Hast du gesehen, wie Richard diesen Idioten gezwungen hat, sich zu entschuldigen?»
«Das stimmt. Das war sehr aufmerksam.»
«Er sieht so gut aus …», seufzte Charlotte.
Die beiden Schwestern hingen ihren Gedanken nach.
«Weißt du was, Hortensia?»
«Was?»
«Eines Tages werde ich Richard Reemick heiraten.»
Zwei Mal noch hatte Charlotte die Gelegenheit, Richard zu sehen, bevor er nach Annapolis aufbrach, wo er die nächsten vier Jahre verbringen würde. Zwar sprach er nicht mit ihr, aber Charlotte sah, wie er sie immer wieder anlächelte.
· 14 ·
T rotz des heftigen Schneefalls über Boston fertigte Raymond O’Flanagan den Kutscher ab und beschloss, das letzte Stück bis zu seinem Haus zu Fuß zurückzulegen. Er hielt den Hut gut fest und bahnte sich, von kräftigen Windstößen geschüttelt, einen Weg durch das Schneegestöber. Er musste unbedingt nachdenken und ein paar Schritte laufen. Die Dinge verkomplizierten sich. Scott hatte sich schon wieder in Schwierigkeiten gebracht, und er war nicht bereit zuzulassen, dass die Anwandlungen seines Sohnes ihn bloßstellten. Aber das würde anders werden. Diesmal würde Scott nicht einfach so davonkommen. Als er über die Schwelle seines Hauses trat, hatte der Schnee den Mantel aus gepresstem Wollfilz und die glänzenden Lederschuhe bereits durchweicht.
Nachdem James, der Butler des Hauses, seinen Herrn mit steifer Förmlichkeit begrüßt hatte, nahm er dessen Hut und Handschuhe und half Raymond aus dem schweren Mantel.
«Ist Scott schon da?»
«Noch nicht, Mr. O’Flanagan.»
«Sobald er durch diese Tür kommt, sagen Sie ihm, dass ich ihn sofort in meinem Büro erwarte.»
James nickte und zog sich diskret mitsamt den Kleidungsstücken zurück.
Raymonds Gattin Beatriz stickte im Zimmer neben der Empfangshalle. Als sie die Stimme ihres Mannes hörte, erhob sie sich und ging ihm entgegen. «Ist etwas nicht in Ordnung, mein Lieber?», fragte sie mit Unschuldsmiene.
Die Frau mit dem kupferfarbenen Haar und dem wachen Blick, die gelernt hatte, ihre Gefühle zu verbergen, kannte den Grund für den Ärger ihres Mannes bereits. Eine Cousine hatte es sich nicht nehmen lassen, sie zu besuchen und sie in allen Einzelheiten über den Vorfall zu unterrichten, bei dem ihr Sohn Scott eine tragende Rolle gespielt hatte. In der Tat gab es in diesem Augenblick wohl kein einziges Mitglied der Bostoner Gesellschaft mehr, das nicht wusste, dass Raymond O’Flanagans Sohn öffentlich Zorton beleidigt hatte, den Kandidaten für das Bürgermeisteramt, den ihr Mann unterstützte.
«Ich konnte es nicht glauben, als ich es erfahren habe! Scott hat Zortons Rede in der Markthalle unterbrochen und ihn vollkommen bloßgestellt!», rief Raymond verärgert aus. «Und als ob das nicht schon genug wäre, ist ihm nichts Besseres eingefallen, als dort mit diesen aufrührerischen und faulen Halunken aufzutauchen, die er seine Freunde nennt! Es muss ein peinliches Spektakel gewesen sein.»
Beatriz sagte nichts. Schweigend folgte sie ihrem Mann in sein Büro. Auch ihr gefiel dieser Aufschneider nicht, der Bürgermeister werden wollte, und egal, was Raymond auch immer sagte oder tat, sie war sich sicher, dass er ebenso wenig von ihm hielt.
Dem übertriebenen und unzusammenhängenden Bericht ihrer Cousine hatte Beatriz entnehmen können, dass Scott den Kandidaten nicht
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