Fesselnde Entscheidung (German Edition)
gedankenverloren.
»Sie ist 27.«
»Und? Macht das etwa einen Unterschied, dass sie zwei Jahre älter ist als du?«, fragte sie gereizt.
Tim schüttelte nur mit dem Kopf: »Nein, natürlich nicht. Ich mein ja nur, weil du
Mädchen
gesagt hast.«
»Ach so«, sie sah ihn eindringlich an und fragte: »Hast du sie … ver… verletzt?«
Er hatte das Gefühl, dass sie ursprünglich etwas anderes hatte fragen wollen und sagte: »Ich habe ihr keine runtergehauen oder so.«
Als seine Mutter ihn weiterhin fragend ansah, fügte er hinzu: »Ich habe sie nicht vergewaltigt, falls du das wissen wolltest.«
Er sah ihr förmlich an, wie ein schwerer Stein von ihrem Herzen fiel, wie sie sich vor Erleichterung ein wenig aufrichtete. Ein Gewaltverbrechen war für seine Mutter scheinbar gerade noch am Rande des Erträglichen, aber einen Vergewaltiger in all den Jahren großgezogen zu haben, hätte sie wahrscheinlich zu tief in ihren Grundmauern erschüttert.
Auf einmal hörte er seine Alarmglocken schrillen.
»Oder wird etwas anderes behauptet?«
Sowohl seine Mutter als auch sein Bruder schüttelten mit dem Kopf.
»Ich habe überlegt, ob ich mich vielleicht bei ihr und ihrem Vater entschuldigen sollte, aber ich wusste nicht, ob ich dir damit schaden würde«, sagte seine Mutter, während sie sich wieder über die Augen wischte. Nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Aber ich mag auch überhaupt nicht mehr aus dem Haus gehen. Wir werden belagert von Reportern und sensationslustigen Fernsehteams. Ununterbrochen klingelt das Telefon. Wenn es keine Journalisten sind, dann irgendwelche neugierigen Verwandten. ALLE wollen mit der MUTTER des Täters sprechen!«
Und da waren die Vorwürfe, auf die er schon gewartet hatte. Wie ein ausgetrockneter Schwamm sog er sie durstig auf, um zu spüren, dass er noch am Leben war und noch nicht so abgestumpft, dass sie ihn nicht mehr mit voller Wucht hätten treffen können.
Und wieder riss er sich mit aller Macht zusammen,
du wirst nicht heulen!
»Und dann auch noch die Tochter von diesem PharmaSchulte!«
Sie schüttelte verständnislos mit dem Kopf. »Einen größeren Gegner hättest du dir wirklich nicht aussuchen können, Tim! Was hast du dir nur dabei gedacht? Du hast deine ganze Zukunft ruiniert!«
Verdammt noch mal, nimm dich zusammen, du wirst nicht heulen!
Dann sah sie ihn auf einmal bedauernd an: »Entschuldigung, Tim. Ich hatte mir fest vorgenommen, dir keine Vorwürfe zu machen, aber …«
»Schon gut, Ma.«
»Ist für uns alle nicht so einfach«, fasste Simon die ganze Situation in seiner unnachahmlichen sachlichen Art zusammen, »aber mal was anderes«, er schaute kurz auf seine Uhr, »ist denn ein Pflichtverteidiger auch richtig gut? Also gut genug?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Tim.
»Du wirst lachen, Tim. Ich habe bei unserer Rechtschutzversicherung angerufen, aber ...«, seine Mutter brach ab und schüttelte mit dem Kopf.
Tatsächlich huschte ein Lächeln über Tims Gesicht, als er sich das Telefont vorstellte.
Guten Tag, mein Sohn hat jemanden entführt und braucht jetzt einen Anwalt. Das fällt nicht zufällig unter unsere Rechtschutzversicherung?
»Markus Lohmann, mit dem du zur Schule gegangen bist, der hat doch Jura studiert, oder?«, fragte seine Mutter Simon.
Der sich anschließenden Diskussion über gute Anwälte und Leute, die gute Anwälte kennen könnten, enthielt sich Tim weitestgehend. Dann machte er aber deutlich, dass er das alles nicht wollte, weil es in seinen Augen ohnehin nichts bringen würde. Denn eines war für ihn sicher: Elisa würde nicht nur
den
besten Anwalt haben, sondern
die
besten Anwälte.
Wozu also Geld in eine vorhersehbare Fehlinvestition pumpen?
Er sah seiner Mutter an, dass sie sich mit dieser Ansicht wahrscheinlich nicht kampflos zufrieden geben werde, als auf einmal die JVA-Bedienstete an sie herantrat.
»Die Zeit ist gleich um. Würden Sie sich bitte langsam verabschieden?«
Gut, dass Blicke nicht töten können
, dachte Tim als er den missbilligenden Blick seiner Mutter registrierte.
»Darf ich ihn wirklich erst wieder in zwei Wochen besuchen?«, fragte seine Mutter die JVA-Bedienstete relativ freundlich, wie er fand.
»So sind die Vorschriften. Tut mir leid.«
Dann stand Tim auf und auch seine Mutter und Simon erhoben sich von ihren Stühlen.
»Vielen Dank, dass Ihr da wart. Bitte grüßt auch Dad und Felix von mir!«, sagte Tim und hätte sie beide so gern umarmt.
»Pass auf dich auf, mein Junge. Man hört so viele schlimme Dinge aus
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