Fesselnde Entscheidung (German Edition)
auf dem dunkelblauen Teppichboden vor den verglasten Konferenzräumen auf und ab. Er entdeckte ein kleines Loch im Teppich, fuhr mit seinem Schuh gedankenverloren darüber und blickte dann wieder auf seine goldene Armbanduhr. Verständnislos schüttelte er mit dem Kopf. Wo blieb Elli bloß?
In 15 Minuten fand der vielleicht wichtigste Termin der Firmengeschichte statt und wer war nicht da? Seine Elli! Seit Wochen arbeiteten sie an der Vorbereitung. Er wusste, dass seine Tochter große Bedenken gegen das Projekt hegte. Aber deshalb würde sie niemals dem Treffen fernbleiben. Im Gegenteil, er sah sie in Gedanken vor sich, wie sie sich während des Gesprächs unzählige Notizen machte, ihn anschließend in Grund und Boden redete und ihm all die Gründe aufzählte, weshalb sie das Projekt nie zum Leben erwecken dürften.
Er liebte seine Tochter. Doch seitdem sie nach dem Tod ihrer Mutter vor einem Jahr mit 26 Jahren, gleich im Anschluss an ihr BWL-Studium, in die Firma eingetreten war, eckte er immer öfter mit ihr an. Im Gegensatz zu ihrer Mutter gab sie nie nach und versuchte stur ihre Meinung durchzusetzen. Da er genauso gestrickt war, ließen sich Auseinandersetzungen kaum vermeiden. Es kam vor, dass sie tagelang kein Wort miteinander sprachen. Oft war er es, der die Friedenspfeife wieder herausholte. Meistens, weil Löser ihn zum Einlenken bewegt hatte. Nur ganz selten und äußerst ungern machte sie den ersten Schritt auf ihn zu.
Nervös fummelte Schulte sein Handy aus der Sakkotasche und schaute aufs Displays: Nichts, keine Nachricht von ihr. Er tippte auf ihre Nummer: »The person you have called is temporarily not available«, ertönte. Höchst merkwürdig, dachte er und ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit.
Wann hatte er sie das letzte Mal gesehen? Gestern, am Montag, aber nur kurz. Sie war auf dem Sprung, und er hatte ihr wegen der heutigen Verhandlung noch mal ins Gewissen reden wollen. »Ja, Daddy, ich versuche mich zu beherrschen«, hatte sie versprochen und sich dann auf den Weg gemacht. Wo wollte sie noch mal hin? Er wusste es nicht mehr.
Löser eilte mit schnellen Schritten den Korridor entlang auf ihn zu. Dabei wirkte er noch dünner, als er ohnehin schon war. Seine blonden, glatten Haare wehten im Wind, auf seinem Gesicht und seinem Hals hatten sich unschöne rote Stressflecken breit gemacht. Jetzt schon, dachte Schulte, die Besprechung hatte doch noch gar nicht angefangen. Wenn Löser eines nicht war, dann stressresistent.
»Sie war heute gar nicht im Büro!«, schilderte Löser atemlos.
»Wie bitte?«
»Ich habe mit Frau Bonholm, Herrn Peters und Frau Metz gesprochen. Keiner hat sie heute gesehen und ihr Büro ist verschlossen.«
Schultes Magen zog sich kurz zusammen. Das war mehr als ungewöhnlich. Frau Seibel gesellte sich zu ihnen.
»Die Herren sind da, sie sind unten in der Eingangshalle, Herr Krüger hat eben angerufen«, sagte sie im Flüsterton.
Frau Seibel neigte zur Theatralik. Das Treffen hatte offiziell die höchste Geheimhaltungsstufe. Mehr wussten aber weder sie noch die meisten anderen Beschäftigten. Nur die oberste Führungselite, die so genannte FK 1 – bestehend aus fünf Personen – kannte die Details. Wirklich alles wussten nur Löser, Elli und Schulte selbst. Es war wichtig, den Kreis der knowing ones so klein wie möglich zu halten. Nicht auszudenken, wenn die Presse oder gar die Konkurrenz Wind von ihrem Vorhaben bekommen würde.
»Danke, Frau Seibel. Sagen Sie, hat meine Tochter sich zufällig bei Ihnen gemeldet?«, fragte Schulte bewusst beiläufig.
»Nein, wieso? Nimmt sie nicht an der Sitzung teil? Das wusste ich nicht. Ich habe für sie mit eingedeckt.«
»Das ist auch gut so, sie kommt eventuell später noch nach. Würden Sie mir bitte die Telefonnummer von einer Frau Kristina Lange heraussuchen? Legen Sie sie mir bitte einfach auf den Schreibtisch. Ich weiß nicht, wie lange die Besprechung geht. Um 18 Uhr können Sie gern Feierabend machen.«
»Das mache ich. Kristina Lange, ja?«
Schulte nickte und Frau Seibel stolzierte wichtig an ihren Empfang zurück.
Kristina war die beste Freundin seiner Tochter. Vielleicht konnte sie ihm weiterhelfen, falls er bis heute Abend nichts von Elli gehört haben sollte. Jetzt musste er sich erst mal voll und ganz auf das Projekt konzentrieren. Bestimmt gab es eine ganz einfache Erklärung für Ellis Fortbleiben, versuchte er sich selbst zu beruhigen.
*
Im Konferenzraum 1 war die aufgeladene Stimmung fast
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