Fesselnde Entscheidung (German Edition)
Intensivstation waren Elisas Haare aus praktischen Gründen einfach abgeschnitten und am Hinterkopf abrasiert worden, um ihre große Platzwunde mit siebzehn Stichen zu nähen. Ihre Hochsteckfrisur hatte damals Schlimmeres verhindert.
Schwester Sabine hatte den Versuch gewagt, aus den traurigen kurzen Haarresten irgendwie eine Frisur zu zaubern. Das Ergebnis war ein unprofessioneller fransiger Kurzhaarschnitt. Auch wenn Elisa nicht wirklich glücklich war und ihre langen schwarzen Haare vermisste, war sie Schwester Sabine sehr dankbar für ihre Mühe. Sie hatte Elisa, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht als Ehebrecherin vorverurteilt.
Zuletzt hatte sie Elisa angezogen, ihr in das hinten offene Patientenhemd geholfen, sie in den Rollstuhl verfrachtet und sie in mehrere Decken gehüllt. Es war Oktober und draußen schon herbstlich kalt.
Nun fühlte sich Elisa gewappnet, das erste Mal seit dem Angriff ihrem Mann gegenüber zu treten.
Während sie auf ihn wartete, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Nervös biss sie immer wieder auf ihre Unterlippe, unentwegt pulte sie an ihren Fingern herum. Die gelben Lamellen am Fenster hatte sie schon unzählige Male gezählt, um sich zu beruhigen. Vergeblich. Laufend fragte sie sich, wie das Treffen mit Basti ablaufen werde, ob er auch die Wahrheit über Amelie wisse. Ihr Vater hatte kein Wort darüber verloren. Und Elisa hatte nicht nachgefragt.
Krampfhaft versuchte sie an andere banale Dinge zu denken, um sich abzulenken. Weshalb ließen sich die Fenster in ihrem Krankenzimmer nicht öffnen? Wie solle man da gesund werden, fragte sie sich. Wie fühlte sich frische Luft an? Sie wusste es nicht mehr.
Und dann war Basti da. Gut sah er aus. Seine dunkelblonden Haare trug er kürzer als sonst. Er braucht mich gar nicht, ging Elisa durch den Kopf. Auch er wirkte angespannt.
»Hallo Elisa«, sagte er schlicht, als er das Zimmer betrat.
»Hallo Basti«, antwortete sie und blickte ihm erwartungsvoll in die Augen.
»Äh, … wollen wir in den Park? Also ich schieb dich«, fragte er, nachdem er einen kurzen Augenblick unschlüssig vor ihr stand.
Sie nickte zaghaft und ließ sich von ihm den langen Krankenhausflur entlang fahren. Elisa blickte neugierig nach links und rechts, spähte in offene Krankenzimmer und versuchte alle Eindrücke gierig aufzusaugen. Diese sterile Herberge war seit Wochen ihr neues zu Hause und sie hatte sie noch nie richtig in Augenschein nehmen können.
Keiner sagte ein Wort, Elisas Anspannung wurde immer größer. Was wusste Basti? Alles? Davon war auszugehen. Oder sollte sie es ihm heute sagen? Natürlich! Wann sonst?
Wie wird er reagieren?
Als sie mit dem Fahrstuhl vom sechsten Stock ins Erdgeschoss fuhren, fragte er: »Wie geht es dir?«
»Danke, ganz gut, ich war heute das erste Mal duschen«, erzählte sie stolz.
Wieder schwiegen beide.
Draußen geschah etwas Eigenartiges mit Elisa. Sie schloss die Augen und atmete die frische Luft tief ein. Sie schmeckte nach Leben und roch nach Herbst. Sie spürte den Wind auf ihrer Haut, hörte einen Vogel zwitschern, wie Blätter auf dem Weg raschelten und fühlte, wie die Anspannung aus ihrem Körper verflog. Dann öffnete sie wieder ihre Augen und konnte sich gar nicht sattsehen. Noch nie hatte sie in ihrem Leben so bewusst ihre Umwelt wahrgenommen, so bewusst genossen, wie in diesem Moment. Sie war unendlich dankbar dafür, dass sie noch am Leben war. Und verstand plötzlich nicht mehr, wie sie alles vor diesem dramatischen Ereignis einfach als gegeben und selbstverständlich hatte hinnehmen können. Nichts war selbstverständlich. Für alles konnte man dankbar sein. Alles konnte von einer Sekunde zur nächsten plötzlich vorbei sein. Darüber hatte sich Elisa zuvor nie Gedanken gemacht. Erst jetzt, wo sie für jeden noch so kleinen Schritt Hilfe in Anspruch nehmen musste, wurde ihr das Geschenk des Lebens und der eigenen Gesundheit erst richtig bewusst.
»Hier?«, riss Basti sie aus ihren Gedanken. Er zeigte auf eine Bank unter einer schönen großen Trauerweide. Ein herrlicher Platz fand Elisa.
»Ja, das ist sehr schön hier.«
Basti schob sie mit ihrem Rollstuhl dicht an die Bank und nahm dann ihr zugewandt Platz. Sie blickten sich in die Augen, als wolle jeder dem anderen den Vorrang einräumen.
»Wie lange lief das schon mit ihm?«, fragte er schließlich, nachdem sie keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
Sie senkte den Kopf.
»Zu lange.«
Wieder schwiegen beide.
»Amelie ist von ihm, nicht
Weitere Kostenlose Bücher