Fesselnde Entscheidung (German Edition)
Fenster, um frische Luft zu schnappen. Er blickte auf den Nachbarbürokomplex, sah durch die Fensterfront Menschen geschäftig hin und her eilen und fragte sich, ob irgendjemand von denen schon mal solche Qualen wie er hat erleiden müssen. Auf einmal fühlte er sich ganz klein und schwach. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er hatte in seinem Leben so viel erreicht, so viel geschaffen. Und doch stellte er nun bitter fest, dass für ihn nur eins wirklich wichtig war: seine Familie. Viel zu wenig Zeit hatte er mit ihr verbracht. Zeit, die niemals wiederkehren würde.
Er hatte seine Frau verloren, würde er jetzt auch seine Tochter verlieren?
17. Kapitel - Mittwoch, 10.09.
Auf einmal sah Elisa ihren Entführer mit ganz anderen Augen. Sie fürchtete nicht mehr um ihr Leben. Er hatte tausendmal die Möglichkeit gehabt, sie zu töten. Aber er hatte es nicht getan. Selbst bei ihrem Fluchtversuch hatte er nicht die Pistole auf sie gerichtet. Er hatte allen Grund gehabt, auf sie wütend zu sein und hatte sie auch grob in den Kellerraum katapultiert, aber dennoch hatte er seine enorme Wut nicht an ihr ausgelassen. Sie hatte seine stark blutenden Hände gesehen, nachdem er mit seinen Fäusten in voller Rage mehrmals gegen die Wand geschlagen hatte. Erst ihre Schreie, so schien es, hatten ihn langsam wieder aus seinem Zorn erwachen lassen und zurück zur Vernunft gebracht. Sie war sich sicher, wären die Schläge auf sie niedergegangen, wäre nicht mehr viel von ihr übrig geblieben. Mit aller Kraft hatte er die Kellertür zugeschlagen und sie sich selbst überlassen. Erst erleichtert dann enttäuscht hatte sie festgestellt, dass die Säge nicht mehr da gewesen war. Vielleicht hätte sie sie als Waffe benutzen können.
Nach und nach hatte sich ihr Herzschlag wieder beruhigt. Sie hatte wieder angefangen, die Wassertropfen zu zählen und sich unentwegt gefragt, wo wohl deren Ursprung gewesen war, um sich abzulenken, um keine anderen Gedanken zuzulassen.
Diesmal war sie mit der Kälte im Keller besser zurecht gekommen. Sie war ständig auf und ab gelaufen und hatte ihre Hände und Füße ununterbrochen bewegt, wenn sie sich doch mal hingesetzt hatte. Im Vergleich zu ihrem letzten Kelleraufenthalt hatte sie den riesengroßen Vorteil, keine verbundenen Augen zu haben.
Als er die Tür nach einer Weile wieder aufgesperrt hatte, war sie zwar wieder zusammen gezuckt und ihr Herz hatte auch erneut schneller zu schlagen begonnen, aber dennoch war das panische Angstgefühl verschwunden gewesen.
Auf dem ersten Blick hatte er bemerkt, dass sie es wahrscheinlich mit einer gewissen Akrobatik geschafft hatte, ihre auf dem Rücken aneinander geketteten Hände irgendwie vor ihren Körper zu bekommen. Wortlos hatte er ihr einen am Boden mit Wasser bedeckten Eimer – wahrscheinlich als Toilettenersatz – zwei große Wasserflaschen, eine Packung Zwieback und den schwarzen Schlafsack gebracht.
Er hat dazu gelernt, hatte sie gedacht, die Flaschen waren aus Plastik gewesen. Vorläufig würde sie also nicht verhungern oder verdursten.
Hunger hatte sie keinen gehabt, aber dennoch war die Packung über den Tag verteilt am Abend doch leer gewesen. Mit dem Wasser war sie sparsam umgegangen, nicht wissend, wann sie wieder etwas bekommen würde und wissend, dass ein Mensch länger mit Wasser überleben konnte als mit Nahrung.
Gegen Abend – so hatte sie zumindest vermutet – hatte er noch mal nach ihr geschaut. Das ohnehin spärliche Licht, was durch das verschmutze Fenster hindurch kam, war noch weniger geworden. Er hatte sich im Schneidersitz ihr gegenüber vor die Tür gesetzt und sie nachdenklich angesehen. Dann hatte er ihr in wenigen Worten erzählt, worum es ihm ging.
Sie war für ihn nur der Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Irgendwie hatte sie das beruhigt. Obwohl eine unbekannte Variable blieb. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater tatsächlich für sie zahlen würde. Sie hatte sich dann aber mit dem Gedanken besänftigt, dass ihr Vater trotz allem sein eigen Fleisch und Blut nicht opfern würde, noch nicht mal für die Firma. Nachdem er gegangen war und ihr eine gute Nacht gewünscht hatte, war sie in einen leichten Dämmerschlaf gefallen, war teilweise wie in eine andere Welt versunken, hatte an ihre Mutter, ihren Vater und das Projekt gedacht und war irgendwann erschöpft eingeschlafen.
*
Als er am nächsten Morgen die Tür aufschoss, zuckte sie nicht mehr zusammen.
„Wie war die Nacht“,
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