Fesselnde Entscheidung (German Edition)
wie wenn nichts gewesen wäre. Etwas Unfassbares war geschehen, ihre Mama war ganz still und leise für immer von ihr gegangen. Erst nach und nach wurde Elisa bewusst, wie viele Fragen sie ihrer Mutter noch hatte stellen wollen und, dass sie nie wieder Antworten von ihr bekommen würde. Plötzlich war sie auf sich allein gestellt gewesen. Zu ihrem Vater hatte sie nie ein sehr enges Verhältnis aufgebaut. Er war mit der Firma verheiratet gewesen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er in ihrer Kindheit jemals mit ihr auf einem Spielplatz oder im Schwimmbad gewesen war. Stattdessen hatte sie von ihm alle materiellen Dinge bekommen, die sie sich nur gewünscht hatte, vom riesigen Barbie-Haus bis hin zum individuellen Sprungbrett für den Pool. Aber das, was sie wirklich gewollt hatte, hatte er ihr nicht gegeben: seine bedingungslose Liebe.
*
Elisas Tränen waren vor einiger Zeit getrocknet. Sie konnte nicht mehr weinen. Als wenn jeder Mensch nur ein gewisses Kontingent zur Verfügung hatte, ihr Repertoire an Tränen war erschöpft.
Sie dachte an das Projekt. Vielleicht war das hier die Strafe dafür, dass sie nicht hartnäckig genug interveniert hatte, überlegte sie. Der Termin hätte nie anberaumt, geschweige denn zustande kommen dürfen. Allein der Gedanke an das, was ihr Vater vorhatte, war Raubbau an dem Vermächtnis ihrer Mutter.
Sie hatte damals den Kontakt zu dem afrikanischen Dorf hergestellt, in dem Land mit der weltweit höchsten AIDS-Rate, namens Swasiland. Sie hatte helfen wollen, retten, alles tun, was in ihrer Macht gestanden hatte, absolut uneigennützig. Ihr Vater wollte auch helfen, aber anders – aus reiner Profitgier.
PharmaSchulte war es nach langen, äußerst kostspieligen Forschungsreihen gelungen, zwei besonders wirksame Antikörper, für einen möglichen Impfstoff gegen AIDS, zu isolieren. Das allein war schon ein riesiger Meilenstein, in Fachkreisen war sogar vom größten Durchbruch seit dem 1. Dezember 1981, dem offiziellen Bestehen der Krankheit, die Rede. Tatsächlich aber blieben die gewünschten Immunreaktionen mit Impfstoffproben und damit die Bildung der erforderlichen Antikörper in den klinischen Versuchen aus. Dieses Tests waren teuer, sehr teuer und die Aussagekraft bei einer Übertragung auf den menschlichen Körper im Verhältnis dazu sehr gering.
Bitter dachte Elisa an ihren Vater. Besser waren da natürlich Experimente am menschlichen Objekt. Ihr Vater wollte unbedingt der Erste sein, dem es glücken würde, einen wirksamen Impfstoff gegen das HI-Virus zu entwickeln.
Da war ihm eines Tages die glorreiche Idee gekommen, den Gedanken seiner Frau aufzugreifen und ihn nur ein bisschen umzudrehen. Statt Nachsorge zu betreiben, zielte er auf die Vorsorge ab. Er war nach Afrika gereist, war auf offene Ohren getroffen und hatte vor, gegen geringes Geld, so genannten Spenden, so viel an unwissenden afrikanischen Kindern zu testen, wie es nötig war, um endlich das Lebenselixier schlechthin in den Händen zu halten. Die lebensbedrohlichen Komplikationen und Nebenwirkungen waren ihm zwar nicht egal, aber er wollte sie billigend in Kauf nehmen, nur die Presse sollte besser nichts davon erfahren.
Elisa stellte sich vor, wie die kleinen Kinder mit ihren großen Kulleraugen tapfer die Spritze ertrugen und sich freuten, ein wertvolles Vitaminpräparat aus dem guten Deutschland zu erhalten. Bereitwillig würden sie sich immer wieder Blut abnehmen lassen, um überprüfen zu lassen, ob ihr Körper genügend Vitamine und Mineralien angereichert hatte. Nicht verstehen würden sie, warum es ihnen statt besser immer schlechter gehen würde, sie plötzlich Fieber bekommen und schließlich ihre gesamten kleinen Organe versagen würden. Und auch wenn sich diese Fälle häufen würden, es würde niemand nach dem Warum fragen.
Ein heftiger kurzer Schüttelfrost überkam Elisa. Sie schwor sich bei allem war ihr heilig war, das Projekt mit allen erforderlichen Mitteln zu verhindern – sofern sie hier irgendwie lebend heraus kommen würde.
16. Kapitel - Mittwoch, 10.09.
„WIE BITTE?“, schrie Schulte. Er schlug so fest mit der Faust auf seinen Schreibtisch, dass die Glasvitrine zitterte und die Gläser darin klirrten. Frau Seibel hatte ihm gerade erklärt, dass sie den braunen Umschlag gestern Abend auf seinem Schreibtisch platziert hatte, nachdem Herr Krüger sie gebeten hatte, ihn unten am Empfang abzuholen. Ein Kurierdienst soll ihn mit dem Hinweis, ihn ungeöffnet und
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