Fesselndes Geheimnis
Gunters Lächeln wurde verschwommen, und seine Augen umwölkten sich leicht … o je, er ist ja betrunken, dachte ich plötzlich. Erst jetzt bemerkte ich, dass Gunter mehr als schon ein Bier getrunken haben musste; er hatte ganz schön geladen. Inzwischen hatte er sogar Tränen in den Augen, die er vor mir zu verbergen suchte. Offenbar befiel ihn gerade eine alkoholbedingte Weinerlichkeit – oder eine traurige Erinnerung.
Aber dieses Mal würde ich trotzdem nachhaken … ich …
»Christine, Schätzchen, kommst du mal eben?« Alains leicht affektierte Stimme scholl vom oberen Ende der Kellertreppe zu uns und riss Gunter in die Wirklichkeit zurück.
Nichtsdestotrotz schenkte ich ihm ein verheißungsvolles Lächeln und versprach: »Ich bin neugierig – und komme gleich auf das Kunstwerk zurück!«, bevor ich von meinem Barhocker herunter rutschte und zu Alain ging.
Er drückte mir ein schnurloses Telefon in die Hand.
»Vincent«, meinte er nur, zwinkerte mir zu und entfernte sich dann taktvoll.
Verwirrt nahm ich den Hörer entgegen und meldete mich.
Die Frostigkeit, mit der Vincent mich begrüßte, ließ mein Lächeln erstarren, und ich fühlte mich fatal an den Abend erinnert, als er ebenfalls so unterkühl gewesen war.
»Was ist los?«, fragte ich; es sollte wütend klingen, stattdessen hörte ich mich nur ratlos und verstört an. Ich verstand seine Stimmungswechsel einfach nicht. War er am Ende manisch-depressiv?
»Nichts ist los«, sagte er schroff, »ich muss dir nur sagen, dass ich im Moment keine Zeit habe, dich zu treffen. Kannst du dazu nicht einfach ›Ja Vincent‹ sagen und mich nicht weiter mit Fragen löchern?«
Hitze lief durch meine Adern, weil er in solch einem ekelhaften Ton mit mir sprach. Das hatte nichts mit unseren zartharten Rollenspielen zu tun, das war einfach nur alltägliche verbale Brutalität.
»Ich habe sehr viel zu tun, ich muss jetzt etwas Unerwartetes abarbeiten«, fuhr seine veränderte, eisige Stimme fort.
Wut flammte in mir auf, und ich schaffte es, genauso kalt zu erwidern: »Wie du meinst.« Und dann drückte ich die rote ›Beenden‹-Taste.
Kapitel 17
Fast fluchtartig verließ ich den Club. In meinem Kopf drehte sich alles. Wie lange würde ich das noch aushalten können?! Diese Launenhaftigkeit, diese kalten Gewittergüsse aus eben noch heiterstem Himmel, das konnte und wollte ich nicht ertragen! Und doch, ich mochte ihn, wollte ihn, ich … war ein dummes Schaf!
Selbst jetzt hoffte ich auf eine SMS, in der er mich um Verzeihung bat und spielte Szenarien durch, in denen er irgendwelche Gründe hatte, um in diesem Ton mit mir zu reden. Mir fiel kein einziger plausibler ein.
Ich war so in meine Gedanken über Vincents Verhalten vertieft, dass ich den Polizeiwagen vor meinem Hotel überhaupt nicht wahrnahm, als ich aus meinem Taxi stieg.
»Christine Danzer?«
Ich schrak zusammen, als ich von einem uniformierten Beamten in dienstlich-neutralem Ton angesprochen wurde.
»Ja?«
Ein zweiter Polizist gesellte sich dazu, baumlang und dunkelblond. Den erkannte ich wieder – er war auch beim ersten Mal dabei gewesen. Sie fingen mich also diesmal direkt vor meinem Hotel ab, und sie waren zwar freundlich, aber sehr bestimmt. Von Claire keine Spur.
»Es geht um den Mord an Mark Weiß – Sie wissen ja, dass wir Sie deshalb noch einmal sprechen wollten. Bitte kommen Sie mit aufs Revier, es wird nicht lange dauern.«
Oh ja. Damit hatte ich eigentlich rechnen müssen.
Ich setzte ein leicht verkrampftes Lächeln auf und erwiderte: »Ja, natürlich. Wenn ich der Polizei behilflich sein kann …«
Geh’ nicht zur Polizei!
Die Stimme des sterbenden Mark hallte aufgespenstische Weise in meinem Kopf wider, und eine Gänsehaut lief über meinen Körper. Jetzt war die Polizei zu mir gekommen und wenn es stimmte, dass ich von ihnen beschattet wurde – und warum sollte Claire lügen – hieß es auf der Hut zu sein.
Im gesichtslosen, kühlen und recht kahlen Polizeirevier von Ostende, in das ich gefahren wurde, stellte mir ein mir unbekannter höherer Beamter mehrere Fragen, und meine Antworten wurden von einer Schreibkraft genau protokolliert. Ganz offiziell.
Der Beamte – sein Name war De Groote – befragte mich in seinem Büro auf Deutsch. Es kostete mich – trotz meines Vorsatzes, sehr aufzupassen – große Mühe, mich zu konzentrieren.
De Groote erklärte, dass die Polizei auf ihrer Suche nach dem Mörder von Mark Weiß leider noch nicht recht weitergekommen
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