Fesselndes Geheimnis
sei.
»Insbesondere fehlt uns ein mögliches Motiv«, sagte er, trommelte mit seinen Fingern auf der Schreibtischunterlage herum und schaute mich aus steingrauen Augen durchbohrend an. »Er schien ein normaler Tourist gewesen zu sein, er hat keine außergewöhnlichen Orte aufgesucht … Sie sagten ja, Sie kannten ihn kaum. Haben Sie trotzdem irgendeine Vermutung, ob Mark Weiß Feinde gehabt hatte? Hat er Ihnen gegenüber vielleicht irgendwelche Andeutungen gemacht, und sei es nur im Scherz?«
Ich zögerte. Ich tat so, als ob ich nachdachte, und runzelte angestrengt die Stirn. Sekundenlang überlegte ich, ob ich die Polizei auf irgendeine falsche Fährte locken sollte. Aber dann ließ ich diese Idee wieder fallen. Zu riskant.
»Nein, nichts dergleichen«, antwortete ich fest.
»Nicht lange vor der Tat hat Herr Weiß im Hotel einen Anruf aus Antwerpen erhalten. Wir konnten ihn zurückverfolgen, aber leider kam er aus einer Telefonzelle. Haben Sie vielleicht eine Ahnung, von wem dieser Anruf gekommen sein könnte?«
»Nein«, antwortete ich, und diesmal sprach ich die reine Wahrheit.
»Und die SMS, die er ihnen kurz vorher geschickt hat?« Natürlich hatte die Polizei sein Handy kontrolliert.
»Was soll mit der SMS sein?« Ich gab mich verständnislos genug, um De Groote zu einer genaueren Frage zu zwingen: »Was stand drin?«
Aha! Beinahe hätte ich gelacht. Natürlich hatte Mark den Text aus seinem Speicher gelöscht – schließlich hatte er mich ebenfalls dazu angehalten. Blieb nur zu hoffen, dass die Polizei nicht das gesamte Netz prüfte – oder die deutschen Verbindungen.
»Er wollte sich mit mir treffen – ein Date im Adamant Bistro.« Ich zuckte mit den Schultern und gab mir Mühe ehrlich und betroffen zu wirken.
Nach ein paar weiteren, eher belanglosen Wiederholungsfragen – die ich sorgfältig genau so beantwortete, wie ich es bei der ersten Vernehmung in meinem Hotelzimmer getan hatte – dozierte De Groote auf einmal über Schussverletzungen und darüber, dass es immer noch absolut rätselhaft sei, was der Täter als Schalldämpfer verwendet habe. Die Art und Weise, in der sich das Projektil in Marks Körper verformt habe, ließe leider keine eindeutigen Rückschlüsse zu.
»Was halten Sie davon, Fräulein Danzer?«
Ich hatte gespannt hingehört und antwortete: »Nun, wenn es Ihnen, als Profis, also komisch vorkommt – dann könnte das zumindest darauf hindeuten, dass keine ›gewöhnliche‹ Waffe mit normalem Schalldämpfer verwendet wurde und der Täter vermutlich kein Polizist oder Soldat war … Aber mehr fällt mir dazu auch nicht ein.«
»Das ist doch schon ganz hervorragend!«, sagte De Groote, der eine spiegelnde Glatze hatte, herzlich, und ich konnte nicht sagen, ob seine Herzlichkeit gespielt oder echt war. Seine Steinaugen waren weiterhin mit großer Aufmerksamkeit auf mich gerichtet und ich bekam eine Ahnung davon, wie gut er mit den geschickt platzierten Informationen wirklich war. Tatsächlich hatten sie eine Ahnung zu Waffe und Schalldämpfer, ebenso zu dem Anruf aus Antwerpen.
»Wo waren Sie eigentlich am Abend der Tat?«, fragte er unvermittelt, und ich hätte mich beinahe verschluckt. Hastig dachte ich nach. Was hatte ich beim ersten Mal geantwortet? Hatte man mich das überhaupt gefragt?
»Ich?« Ich beschloss so ehrlich wie möglich zu sein. »War ganz langweilig in meinem Hotel, im Zimmer. Ich hatte Lust auf einen ruhigen Abend …«
Als ich endlich gehen durfte, kam ich mir leer und irgendwie »ausgewrungen« vor. Sicherlich hatten die Beamten inzwischen eine Verbindung zwischen mir, Mark, Mara und Antwerpen gefunden. Aber wie zum Teufel hätte ich ihnen von meinem Verdacht erzählenkönnen – vor allem, da mein Vater auf der falschen Seite des Gesetzes stand?
Erleichtert bog ich um die Ecke und atmete tief durch, als ich De Grootes erbsengrün gestrichenes Büro hinter mir gelassen hatte. Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden – wie in den Dünen, wie in den letzten Tagen.
Ruckartig drehte ich mich um, doch alle Polizisten, die in dem Empfangsraum schräg hinter mir saßen oder standen, waren mit ihrer Arbeit beschäftigt. Und nur ein Huschen, eine hastige Bewegung, lenkte meinen Blick auf die hintere Tür. Durch das kleine Glasfenster konnte ich gerade noch eine Person von hinten erkennen, die sich rasch entfernte. Vincent?
Ich blinzelte, doch die Person war schon außer Sichtweite und der flüchtige Eindruck so schnell verflogen, dass ich
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