Fessle mich!
bei Anton nach Hause zurückgekommen.
Sie hatte mittlerweile einen ansehnlichen Vorrat von lebensnotwendigen Utensilien bei Anton eingelagert. Notfalls hätte sie leicht auch ein paar Wochen bei ihm verbringen können, ohne dass es ihr an irgendetwas gemangelt hätte. Aber bisher hatten sich ihre Besuche nie über mehr als zwei oder drei Tage ausgedehnt, und zwar nicht zuletzt aus Rücksicht auf Macy. Eines hatte Lauren in den zahlreichen Jahren als Macys Mitbewohnerin nämlich gelernt: Nach spätestens drei Tagen Einsamkeit fiel Macy die Decke auf den Kopf.
So viel Einfühlungsvermögen wusste Macy sehr zu schätzen. Nicht viele Menschen, nicht einmal alle ihre Freunde, hätten Macys Eigenheiten mit so engelsgleicher Geduld ertragen wie Lauren.
Macy war vermutlich der einzige Mensch auf Erden, für den eine ruhige Minute eine schreckliche Strafe bedeutete. Sie hasste nichts so sehr, wie allein zu sein, kein Geräusch zu hören. Statt sich in der Stille zu entspannen, fühlte sie sich isoliert, abgeschnitten von der Welt. Sie war extrovertiert und lebte nur für den Augenblick. Als diplomierte Psychologin wusste sie natürlich, dass sie einem klassischen Verhaltensmuster folgte: Dadurch, dass sie sich auf die Welt um sie herum konzentrierte, verdrängte sie die eigenen Probleme und vermied es, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Aber das bedeutete nicht, dass nicht auch Macy Momente erlebte, in denen sie die Einsamkeit überwältigte, egal, was um sie herum vorging. Dann packte sie die Verzweiflung, und sie zog sich in ihr Zimmer zurück. Früher hatte sie sich in solchen Fällen die Augen ausgeheult, aber so weit hatte sie sich inzwischen im Griff. Manchmal spielten ihr allerdings die Hormone einen Streich, und sie erlag einem Anflug des berüchtigten prämenstruellen Syndroms. In solchen Fällen half nur noch eine ausgedehnte Sitzung mit romantischen Liebesfilmen.
Stundenlang saß sie dann vor dem Fernsehgerät und lauschte mit Tränen in den Augen, wie Kevin Costner als Robin Hood seiner Maid Marian gesteht, dass er sein Leben für sie geben würde, oder schluchzte laut, wenn Hugh Grant am Ende von “Sinn und Sinnlichkeit” zu Emma Thompson zurückkehrte. Immer wieder griff sie auch auf eine Folge aus der Serie “Frasier” zurück, in der Niles Daphne endlich seine Liebe offenbart.
Auch die Vorliebe für “Frasier” verdankte Macy übrigens Lauren. Es gehörte für sie beide inzwischen zum täglichen Ritual, gemeinsam die neueste Folge anzusehen. Aber die unbeschwerten Tage ihrer Wohngemeinschaft waren gezählt, das ahnte Macy, ohne sich deswegen graue Haare wachsen zu lassen. Sie war einfach nicht der Typ, der groß Pläne schmiedete. Wenn es so weit war, würde sie irgendeiner spontanen Eingebung folgen oder – höchstwahrscheinlich – eine Dummheit begehen. Sie könnte zum Beispiel einen Untermieter aufnehmen.
Mit Laurens Rückkehr herrschte erst einmal wieder der normale Rhythmus in ihrem Leben. Lauren war heimgekommen, hatte einen Happen gegessen, ihre Wäsche gewaschen und würde gleich mit Macy zusammen das gewohnte Dienstagabendprogramm absolvieren, das heißt zwei alte Folgen von “Frasier” im Fernsehen anschauen.
Wie aufs Stichwort kam Lauren aus der Dusche. Sie ließ sich neben Macy auf das Sofa fallen und begann, ihr Haar trocken zu rubbeln. Der herrlich frische Zitronenduft ihres Shampoos erfüllte den ganzen Raum. Sie vergrub die Füße zwischen den Polstern und las mit gerunzelter Stirn den Titel der Sendung. “Hab ich schon gesehen”, murmelte sie gelangweilt, während sie das feuchte Haar zu einem festen Knoten aufsteckte.
Macy warf der Freundin einen verwunderten Blick zu. “Du kennst doch alle Wiederholungen.”
“Das ist ja das Grässliche! Es macht nur halb so viel Spaß, wenn man den Witz schon einmal gehört hat.”
“Seit wann denn das? Normalerweise lachst du dich halb krank, egal, wie oft du die Folge schon gesehen hast.” Macy ahnte schon, wie es weitergehen würde. Wieder einer dieser Abende, an denen sie Lauren moralisch aufrichten musste. Nicht zum ersten Mal brachte sie schlechte Laune mit, wenn sie von Anton zurückkam. Sie war stets hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, noch zu bleiben, und der Einsicht, dass es besser war zu gehen. “Wär’s dir lieber, wenn ich ausschalte?”, fragte Macy rücksichtsvoll.
Lauren schüttelte energisch den Kopf und angelte nach der Tüte Salzstangen, die sie, zusammen mit einer Dose Cola light, auf dem Boden neben
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