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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Augenblick der eine, in eine graue Mönchskutte gekleidet, dem anderen, der einen hellen Sommeranzug trug, mit der Hand an den Hals fuhr, wie der andere sich an dieselbe Stelle griff, sich loszureißen versuchte. Gavin ließ die Karte erschrocken auf den Tisch fallen, die Männer erhielten ihre ursprüngliche Größe zurück. Der im hellen Anzug taumelte seitwärts, der Mönch packte ihn bei der Hand und ließ ihn, als er zu Boden sank, los. Niemand kümmerte sich um das Opfer. Der Mönch hob den Kopf, warf sich die Kapuze über und schien etwas zu rufen. Jetzt eilten ein paar Leute hinzu. Was auf dem Tisch sichtbar war, ereignete sich gleichzeitig auf dem Parkplatz, doch anders als in der Welt dort unten lief die Tat hier im Dunkeln und in gespenstischer Stille ab. Es war ein Reflex. Der alte Polizeireflex. Swoboda zwängte sich hinter den anderen an der Wand hindurch zum Ausgang, riss die Tür unter der rot glimmenden EXIT-Leuchte auf und lief so schnell er konnte die Treppen hinunter. Zehn Treppen. Siebenundneunzig Stufen.
    Jetzt, im Abstand von drei Monaten, am Strand von Fécamp, wo er seinem französischen Kollegen so präzise wie möglich die Ereignisse schilderte, wunderte er sich selbst darüber, dass er sofort losgerannt war, ohne das Bild auf dem weißen Tisch länger zu betrachten. »Wie lange haben Sie bis unten gebraucht?«, fragte Georges Lecouteux. »Keine Ahnung. Manchmal zwei Stufen auf einmal. Das Geländer flutschte mir durch die Hand. Sie wurde heiß. Ich war selbst verblüfft, wie schnell ich war. Ich stand kaum auf der Straße, da sah ich ihn auf mich zulaufen. Direkt auf mich zu. Diesmal wieder in dunkelgrauer Mönchskutte. Die Kapuze vom Wind nach hinten gefegt.« »Also haben Sie sein Gesicht noch einmal nach der Tat gesehen. Das ist gut. Und er das Ihre auch. Weniger gut. Klingt nach Schicksal.« Swoboda lachte. »Er blieb vor mir stehen, er legte den Kopf in den Nacken und sah an dem Turm hoch. Er begriff, dass wir uns jetzt zum dritten Mal begegneten, erkannte, wo ich hergekommen war und dass noch mehr Menschen dort oben die Tat beobachtet hatten. Er drehte sich um und lief zurück. Ich dachte, ist der denn durchgeknallt, zum Parkplatz zurückzulaufen, aber er kannte sich besser aus. Rechts, also auf dem Weg von der Camera Obscura zum Kastell, ist der Eingang zu einem verwinkelten Komplex von Läden und Lädchen, sieht von außen klein aus, Tartan Weaving Mill & Exhibition steht dran, aber der Komplex ist riesig, drei Stockwerke tief in die Erde gebaut, eine Touristenfalle an der anderen, auf dem Dach ein Café. In dieses Labyrinth floh der Kerl.« »Und Sie ihm nach.« »Ja. Wären Sie stehen geblieben? »Nein. Wir bleiben nicht stehen.« Lecouteux drehte sich eine Zigarette. Die Ebbe hatte schwarze Felseninseln freigelegt, zu denen man durchs Watt und die flachen Priele laufen konnte. Ein paar alte Männer durchpflügten mit Krabbenkäschern den Schlamm, Kinder kletterten zwischen den zerklüfteten Steinen herum, auf der Suche nach Taschenkrebsen. Die Sonne stand noch hoch über dem Horizont. Hinter ihrer matten Blässe kündigte sich schon der rote Schimmer an, der sich in den nächsten fünf Stunden zu Glut und Feuertönen steigern würde. Jetzt aber, am Anfang des Nachmittags, verlor das Licht über der Küste an Härte und die Farben nahmen an Intensität ab. Es war, als breitete sich über allem eine Müdigkeit aus. Der Dunst, der aus dem Meer aufstieg, legte sich als Eintrübung auf die Luft: Farbenpause zwischen Himmel und See, fast ohne Wind, in der Ferne glitzernde Wasserlinien. Swoboda nahm den Augenblick in sich auf. Der Himmel schien Kräfte zu sammeln für den großen Brand des Horizonts am Ende des Tags. Der Maler wusste, dass dies der Augenblick der Kunst war, während der Sonnenuntergang später ganz und gar der Natur gehörte oder dem Kitsch. »Wir Bullen bleiben nie stehen«, sagte Lecouteux, »immer müssen wir hinterherrennen.« »Sie wollen uns doch wohl nicht als Bullen bezeichnen!« »Warum nicht? Das sind wir. Meine Frau nennt mich auch Bulle. Ich mag es. Wir sollten stolz darauf sein. Schließlich sind wir keine Schafe.« »Ich weiß nicht«, sagte Swoboda und atmete den Zigarettenrauch, der zu ihm herüberwehte, durch die Nase tief ein.
    Er war hinter dem Täter hergerannt. Ohne noch genau zu wissen, was eigentlich geschehen war. Das Labyrinth aus Boutiquen und Factory-Outlets, Ausstellungen und Lehrpfaden zur Tradition der schottischen Bekleidungsgeschichte

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