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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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begann in einem kleinen Vorraum, von dem aus eine Treppe zum Terrassencafé Haggis aufs Dach führte. Ein Gang geradeaus verschwand zwischen Kleiderständern und Regalen voller Pullover, Decken, Mützen, Krawatten mit Schottenkaros. Rechts hinunter führte eine Treppe zur Tartan Exhibition . Von dort drangen metallisch scharrende und schlagende Geräusche herauf, die Swoboda nicht definieren konnte. Der Mönch war vor der Treppe zum Dachcafé stehen geblieben. Er starrte seinen Verfolger an, der zwei Meter vor ihm stand, die Arme vom Körper spreizte und die offenen Handflächen zeigte, um zu signalisieren, dass er unbewaffnet war. Sie versuchten in diesem Augenblick beide zu begreifen, wer oder was sie in diese dritte Begegnung gelenkt hatte. In einer offenen Wandnische direkt neben dem Täter sah Swoboda Schwerter und verschieden lange Dolche. Zwar bat ein Schild »PLEASE DON’T HANDLE SWORDS AS BLOOD IS REALLY MESSY«, doch die ausgestellten Waffen waren ungesichert. Der Mönch folgte Swobodas Blick, riss einen schmalen Langdolch von der Holzwand, hielt ihn vor sich und schien unschlüssig zu sein, was er tun sollte. Der Kommissar fixierte sein Gesicht. Er sah einen ängstlichen, jungen Mann mit kurzen schwarzen Locken. Weiche Züge, aufgerissene tiefbraune Augen, kleine Nase, volle Lippen. Er erinnerte ihn an die Knaben auf den Bildern von Caravaggio. In dem Mörder waren Weiblichkeit und Männlichkeit so untrennbar vermengt, dass er von beiden Geschlechtern Zuneigung erwarten konnte. Aber das war es nicht, was Swoboda faszinierte. Es war die Gewissheit des erfahrenen Kriminalers, dass dieser halb erwachsene Mann vor ihm sich offensichtlich nicht entschieden hatte, ein Mörder zu sein, sondern mit der Tat einem vorgezeichneten Weg gefolgt war. Einem Weg, den ein anderer ihm gewiesen haben musste. Und dass in seinen geweiteten Augen nicht die Angst vor Strafe stand, sondern das Entsetzen vor sich selbst. Man hätte ihn, um ihn vor der voraussehbar abschüssigen Bahn seines Lebens abzuhalten, wahrscheinlich nur in die Arme nehmen müssen. Das Gesicht des Täters wurde von rechts oben erhellt, aus dem Treppenhaus zum Dachcafé kam Tageslicht. Swoboda fiel ein, dass Caravaggio dem dramatischen Effekt zuliebe gern zwei oder mehr Lichtquellen in seine Bilder einfügte, während Rembrandt puristisch aus nur einer Richtung beleuchtete. »Bleib stehen«, sagte der Kommissar leise, »please.« Zwei Polizisten drangen durch den Eingang, der Mönch wandte sich um und rannte die Treppe hinunter. Dorthin, wo das Eisengeräusch herkam. Swoboda trat zur Seite, die Polizisten stürzten dem Flüchtigen nach. Einer Intuition folgend, wählte der Kommissar den Gang direkt vor sich und flanierte scheinbar ruhig zwischen den Souvenirs, Kaschmirjacketts und gestapelten Wollschals durch die einander folgenden Räume, über wechselnde Fußböden, Holz, Beton, Teppiche, blickte von einer Eisenbrücke in das nächste Stockwerk hinunter. Dort boten »Kiltmakers« ihre Stoffe und weitere »Knitwear« an. Er sah den einen der beiden Polizisten unten fahrig zwischen den Ständen und Boxen und Kassen herumirren. Zwanzig Meter weiter führte von einer Boutique mit Modeschmuck, knorrigen Wanderstöcken und Teetassen mit schottischen Landschaftsmotiven eine Treppe zu einem tiefer gelegenen Zwischengeschoss, wo in einer Reihe von Galerien die Geschichte der schottischen Weberei dargestellt war. Lebensgroße Figuren saßen an hölzernen Webstühlen, standen in den Trachten der schottischen Adelsgeschlechter im Dämmerlicht, und eine sonore Lautsprecherstimme erzählte von der glorreichen Vergangenheit der Clans, von der Bedeutung ihrer Kiltmuster, der Tartans. Die metallischen Schläge aus der Tiefe wurde lauter. Swoboda sah sich die Figuren genau an, der Täter hätte sich in diesem Wirrwarr aus Kulissen, bemalten Vorhängen und eingekleideten Puppen verstecken können. Eine weitere Treppe führte noch tiefer auf eine Eisenbrücke mit gelb lackiertem Geländer und von ihr in das nächste Untergeschoss, wo offenbar die an der Hauswand zur Straße ausgeschilderte Tartan Weaving Mill & Exhibition ihr Terrain hatte. Zwischen all den Stoffballen, Stellagen mit Garnspulen, Wänden mit Tartanmustern und den dazugehörigen Clans-Namen kam Swoboda sich verloren vor. Zum ersten Mal, seit er dieses Labyrinth betreten hatte, verspürte er Angst. Wo waren die Polizisten? Dieser Caravaggio-Mönch hatte längst seine Kutte abgeworfen und sich irgendeine

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