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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Herrenjacke geschnappt, die zu Hunderten herumhingen. Hinter jedem Regal mit Webmustern konnte er warten und in seiner Panik den Langdolch gebrauchen, den er entwendet hatte. Der schleifende und rasselnde Maschinenkrach war hier so laut, dass man kein anderes Geräusch mehr vernahm. Swoboda sah nach oben. Zwischen den rot lackierten Stahlsäulen mit gelben Ringkapitellen, von denen die Verkaufsebenen und Galerien gestützt wurden, konnte er bis zu den Läden im Erdgeschoss hinaufsehen. Am umlaufenden obersten Geländer standen dicht gedrängt Polizisten und suchten mit ihren Blicken die Treppen und Stege, die Gänge und Winkel ab. Vor ihm führte eine schmale, eiserne Stiege, die mit einer rot-weißen Plastikkette versperrt war, in die unterste Etage. Und durch einen mit massivem Schutzgeländer versehenen Durchbruch im Boden konnte er sehen, wo die Stiege mündete: Dort in der Tiefe, im Bauch des Gebäudes, arbeiteten die grauen Maschinen, die den Lärm verursachten; hier ratterten und schürften, schabten und klackten die Webstühle und schoben aus ihrem Innern die Tartanstoffe hinaus auf Wickelwalzen, blaue Quadrate, von gelben und grünen Streifen getrennt, rote und grüne Karos, weiße Linien dazwischen. Swoboda neigte sich über das Geländer, ihm wurde schwindlig und er musste sich mit beiden Händen festhalten. In der Lärmhölle unter ihm bewegten die eisernen Tiere, von Kammflusen wie mit staubigem Pelz überzogen, ihre Pleuelstangen, stählernen Greifer und Spanner und rasselnden Steuerketten: unermüdlich schuftende Kolosse, die immer neu mit farbigem Garn gefüttert werden mussten. Die Weber liefen zwischen ihnen umher, Gehörschutz auf dem Kopf, fädelten das Wollgarn in ein Schiffchen, ölten die Lager, steckten neue Fadenrollen auf die Spulenstäbe, kontrollierten die Stoffbahn, die Zentimeter für Zentimeter ausgestoßen wurde. Wie sollten sie mitbekommen, wenn hinter ihnen jemand vorbeirannte? Und wenn – hätten sie sich darum gekümmert? Swoboda hob die Sperrkette, tauchte unter ihr durch und stieg die Treppe hinunter. Der Weber, der ihn sah, wedelte ihn mit beiden Händen zurück zur Treppe. Swoboda deutete an ihm vorbei nach hinten, um zu signalisieren, dass er jemanden suche, der dorthin gelaufen sein könnte. Der Mann drehte sich um, sah wieder zu Swoboda her, zuckte mit den Schultern und wandte sich seiner Maschine zu. Am Ende der Halle fand Swoboda den Lastenaufzug. Er drückte den Knopf, wartete, bis ein grünes Licht über dem Doppeltor anzeigte, dass er es öffnen konnte. Er stieg ein und fuhr bis zum Basement. Als der große leere Blechkasten mit einem quietschenden Stöhnen hielt, schob der Kommissar die Tore auf und trat auf eine Rampe zu einer schmalen Straße hinaus. Das Licht blendete ihn. In seinen Ohren dröhnte noch der Lärm der Webstühle. Ramsey Gardens hieß das Gässchen auf der Rückseite der Tartan Weaving & Mill Exhibition , und für den Mörder war es die Freiheit.
    »Martina sagte nur, man könne mit mir keinen normalen Urlaub machen.« Lecouteux lachte. »Hat sie nicht recht?« »Wie soll sie das wissen, wir kennen uns erst seit achtzehn Monaten!« »Frauen denken immer paradigmatisch.« Der dritte seltsame Satz des Commissaire an diesem Tag. »Er ist übrigens nicht nur Ihnen entwischt. Die Polizei von Edinburgh hat keine glückliche Rolle in dem Ganzen. Und wenn Sie sagen, der Junge sei hübsch gewesen – in der Phantomzeichnung sehe ich das jedenfalls nicht. Wäre mir aufgefallen, ich mag hübsche Jungs nicht. Mich haben sie ausgelacht wegen meiner abstehenden Ohren und meinem Zinken. Wir hatten einen in der Klasse, der war richtig schön. Und was ist er heute? Irgendein zweitklassiger Aktentaschenträger in der Politik.« »Der Mönch war schön. Leider weiß ich sonst nichts über ihn. Die Kollegen in Edinburgh haben mich und die anderen Besucher zwar auf ihrem Revier in der High Street ausführlich vernommen, aber sie haben uns nicht gesagt, was eigentlich passiert ist. In den Zeitungen stand was von einem Herzanfall.« »Ach«, stöhnte sein Kollege aus Paris und warf wieder einen Stein in die nassen Sandflecken, »die Schotten kochen eben auch nur mit Wasser. Von einem Mönch, der auf der Straße CDs verkauft, wissen sie nichts. Und von einer Hare-Krishna-Gruppe genauso wenig. Sie haben seine Kutte irgendwo zwischen den Webstühlen in dieser Tartanhölle gefunden. Mit Filzstift war am Innenkragen ein Name eingetragen: Domingo Idiocáiz. Natürlich nirgendwo

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