Fest der Fliegen
geben will, für was, frage ich, für arme Leute, sagt er, er sei monk und fragt, wie wir in Deutschland dazu sagen, Mönch, sage ich, und er: Ja, Mönch, das sind wir , und er bettle auch nicht um Geld, er zeigte eine CD vor, Monk Rock , zwanzig Euro für viele gute Taten an vielen armen Menschen. Mönche, die Rock machen … ja ja, hab ich mir gedacht, du kannst mich mal, und bin zu Martina in den Laden gegangen. Der Kerl war auffällig hübsch, fröhliches, lachendes Gesicht. Und am selben Tag, am Abend, wirklich am selben Tag um halb acht vielleicht, marschiert uns so eine kleine Gruppe in orangen Nachthemden und Sandalen entgegen, Geklingel und Tamtam, und singt Hare Hare, Hare Krishna , ich denke noch, das ist doch seit Neunzehnsiebzig out, da sehe ich vorne dran den Mönch vom Morgen hüpfen, derselbe schöne Kerl, nur statt in der Kutte im orangefarbenen Hängerchen, schlägt mit den Händen Schellen zusammen und hat diesmal keinen Mönchsrock dabei, sondern führt eine Gruppe Krishnajünger an. Eindeutig derselbe! Ich sehe ihn an, er sieht, dass ich ihn sehe, und wissen Sie, was er macht? Er lacht und feixt, keine Sekunde irgendwie beschämt oder erwischt, Kopf wegdrehen oder senken oder Gesicht verbergen, nichts! Grüßt mich mit einer Verbeugung, so wie: Dich konnte ich nicht aufs Kreuz legen, gratuliere! – Sagen Sie mir, Kollege Lecouteux: Ist so einer ein eiskalter Doppelmörder?« »Alles deutet darauf hin, ja.« Der Commissaire, der eben noch gegrinst hatte, war plötzlich ernst. »Seine Verwandlungsfähigkeit ist Teil seiner kriminellen Energie. Er wird wieder zuschlagen. Und bis dahin irgendwo eine unauffällige Existenz führen. Auch wenn es Ihnen zu glauben schwerfällt: Wir haben es mit Schläfern zu tun, nicht nur mit einem. Und wir haben keine Ahnung, warum sie morden.«
IV Die dunkle Kammer
Der weiße Turm des Museums Camera Obscura hat siebenundneunzig Stufen. Zehn Steintreppen führen unter sein schwarzes Haubendach, einige ausgetreten, teils mit eingepasstem Sandstein repariert, teils mit Beton erneuert. Etwa hunderttausend Besucher im Jahr laufen über diese Stufen hinauf und hinunter, halten sich in den Zwischenetagen des Museums auf, wo diverse Gerätschaften und Spielereien zur optischen Täuschung ausgestellt sind, und steigen in die Spitze des Turms. Dort kann man auf zwei kleinen Terrassen mit Fernrohren den Blick über die ganze Stadt schweifen lassen. Was dem Museum seinen berühmten Namen gegeben hat, befindet sich noch ein paar Stufen höher: unter dem Haubendach ein fensterloser schwarzer Raum, eine begehbare Camera Obscura, in deren Mitte ein runder weißer Tisch von eineinhalb Metern Durchmesser steht. Martina hatte sich einen kurz gefassten Stadtführer besorgt und Swoboda vorgelesen, was sie in den folgenden Tagen unbedingt besichtigen wollte. Er fügte sich, war schweigsam, hörte ihr aber gern zu, wenn sie vorlas: Schauerliches, wie von dem See, den es einst diesseits der Altstadt gegeben hatte, dem Nor’ Loch. Als man ihn zu Beginn des
19. Jahrhunderts trockenlegte, um die heutigen Princess Street Gardens zu errichten, fand man eine Menge menschlicher Skelette; nicht nur die in den Annalen verzeichneten, an Daumen und großen Zehen zusammengebundenen Hexen, die hier seit 1562 ertränkt wurden, auch andere Knochengerüste von nicht aktenkundigen Menschen, deren Schicksal niemand erfragt hatte. Tauchen konnte man im Nor’ Loch seit jeher nicht. Er war eine Brutstätte für Fliegen und Mücken, aller Schmutz der alten Stadt floss dort hinein, mit dem Regen herabgeschwemmt von den höher gelegenen Straßen, auf die seinerzeit abendlich aus den Fenstern geschüttet wurde, was sich untertags an Fäkalien und Abwässern im Haus angesammelt hatte. Immerhin war es üblich, die Fußgänger zuvor mit dem Schrei »Gardy Loo!« zu warnen – eine Formel, die man dem französischen Gardez l’eau entlehnt hatte. Martina und er zogen es vor, heute wie auch in den kommenden Tagen die Northbridge zu meiden, und wählten die kleine Waverley Bridge, von der aus Martina auf das Walter-Scott-Monument und die Nationalgalerie deutete. Doch Swoboda ließ sich auf keine Änderung des Tagesplans ein, lief zielstrebig voran durch Bank Street und Lawnmarket, bis sie schließlich den Hügel mit dem Edinburgh Castle vor Augen hatten, den großen Besucher-Parkplatz davor, der eigentlich als Castle Esplanade für Paraden gedacht war, und rechter Hand den Eingang zum Museum. Seit geraumer Zeit
Weitere Kostenlose Bücher