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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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schamlos.
    Swoboda und Martina flankierten Ilse Matt, die an der mit grünem Kunstrasen umlegten Grube fest im Griff gehalten werden musste. Hinter dem Erdloch glänzte auf einem doppelstufigen, mit Blumengebinden und Kränzen belegten Basaltsockel der Grabstein, auf dem bisher nur der Name von Klaras, im Alter von achtunddreißig Jahren verstorbenem Mann in Bronzelettern stand: LUDWIG MATT, geboren am 14. Januar 1899. Er hatte vom früheren Besitzer der Zickerbräu, dem jüdischen Unternehmer und Ratsherrn Leo Staff, das Gasthaus Zur alten Fähre am Kornmarkt gepachtet und1937, als sich politisch die Gelegenheit bot, sowohl dieses Gasthaus als auch den Fischerwirt an der Mahr unterhalb der alten Kahnlände auf die damals übliche Weise weit unter Wert »erworben«. Es war die Zeit für Schnorrer mit Parteiabzeichen. Leo Staff, der zu Recht für sein Leben und das seiner Familie fürchtete, stellte Ludwig Matts Schulden, die dieser bei der Brauerei hatte, zusätzlich auf null. Er wollte nur noch weg. Die Staffs waren seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Zungen an der Nelda als erfolgreiche Unternehmer nachweisbar. 1937 nun profitierten die Sinzingers und Ungureiths in gleicher Weise wie Ludwig Matt davon, dass die alteingesessenen jüdischen Bürger sich ins Prager Exil retten mussten – wo sie zwei Jahre später, nach der Besetzung Tschechiens durch deutsche Truppen, von denselben Verbrechern, denen sie entkommen waren, aufgespürt und umgebracht wurden: Leo Staff, seine nichtjüdische Frau Magda und auch die beiden Töchter Lisbeth und Sarah. Sie waren dreizehn und elf Jahre alt. Man mochte es für Gerechtigkeit des Himmels halten, dass Ludwig Matt in eben dem Jahr beim Fischen in der Nelda ertrank, in dem er und andere hoch geachtete Zungener Familien räuberisch über den gesamten Staff-Besitz – Brauerei, Gasthäuser, die Familienvilla am Galgenberg, Kornspeicher, Ländereien und Hopfenfelder jenseits der Mühr – hergefallen waren. Vielleicht hatte er für den Frevel gebüßt. Doch Otto Sinzinger und der damalige Metzger, spätere Fleisch- und Wurstwarenfabrikant Willy Ungureith konnten ihre Naziprofite ungehindert in die Nachkriegszeit tragen und vermehren. Die Zeit legalisierte das Unrecht. Je besser die Geschäfte liefen, umso weniger fragte man nach dem Ursprung des Reichtums. Bis vor einem Jahr die Vergangenheit aus scheinbar heiterem Himmel über Zungen an der Nelda hergefallen war und die alten Verbrechen neue geboren hatten.
    Swoboda spürte im Nacken den hasserfüllten Blick Sinzingers, obwohl zwischen dem Greis und ihm die ganze Trauergemeinde stand und auf das Ende des Begräbnisses wartete. Am Friedhofseingang waren sie zufällig gleichzeitig ans Tor gelangt und der Greis hatte seinen Schritt beschleunigt, um als Erster hindurchzugehen, ohne den Exkommissar, Ilse und Martina auch nur eines Blickes zu würdigen. »Immer noch der alte SS-Arsch«, hatte Swoboda gemurmelt, laut genug, um von dem Alten gehört zu werden. Der hatte seinen aufschießenden Zorn bezwungen und war rasch vorangegangen. Ihm und allen hier war bewusst, dass er seine freie Anwesenheit lediglich den Attesten gefälliger Ärzte verdankte. Der Fleischkönig Ungureith, fünf Jahre älter als Sinzinger und nicht weniger schuldig als dieser, hatte die Rückkehr der Vergangenheit und den Versuch, ihr Aufkommen gewaltsam zu unterdrücken, nicht überstanden. Seine Tochter Liesel, die schon Ende der Achtzigerjahre die Geschäftsführung des Großbetriebs übernehmen musste und seit Jahren mit Ilse Matt und ihrer Tochter Martina befreundet war, hatte sich entsetzt von ihrem herrschsüchtigen Vater abgewandt, ihm jedes Gespräch verweigert und die bereits öffentlich angekündigte Feier in der Stadthalle, wo sein fünfundneunzigster Geburtstag mit Konzert, Reden und Bankett begangen werden sollte, abgesagt. Zwei Tage später fanden Metzger der Firma (»Fleisch und Wild von Ungureith: Hochgenuss und Haltbarkeit«) ihn in der Wurstküche seines Betriebs zwischen den Fleischwölfen, Rührmaschinen und Kochkesseln am Haken einer Transportschiene erhängt vor. Der Selbstmord des alten Tyrannen hatte Zungen an der Nelda mehr erschüttert, als seine Verbrechen es getan hatten. Liesel Ungureith stand zwei Reihen hinter Ilse Matt und schwitzte in ihrem steifen schwarzen Kostüm: Eine stattliche, etwas füllige Frau in der Mitte der Fünfziger, unverheiratet, gewohnt, Entscheidungen von großer wirtschaftlicher Tragweite zu treffen. Sie lebte

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