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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Umschlag mit einer kleinen Kirchenspende überreichte. Als Schnaubert zum Dank ansetzte, stand Sinzinger am Bürgermeistertisch auf, griff sich zwei leere Gläser, ließ sie aneinanderklingen, setzte sie ab und wartete auf die langsam eintretende Stille. Würde er nun also doch noch die Rede halten, die man von ihm erwarten durfte? Als Vater von Ilse Matt, als Großvater von Martina, als einstiger Geliebter der Verstorbenen? Kam ein Wort des Bedauerns von ihm? Vielleicht gar die Bitte um Vergebung? »Swoboda!«, rief er, »jetzt ist Klara unter der Erde und jetzt sage ich, was zu sagen ist! Sie hat mich immer gebeten, den Mund zu halten. Mit Rücksicht auf Martina, unsere Enkelin. Aber jetzt ist es genug. Swoboda! Du bist kein Polizist, du bist ein Verbrecher!« Heinz Ehrlicher griff nach Sinzingers Arm, um ihn am Weiterreden zu hindern oder zur Mäßigung anzuhalten. Der Greis schüttelte die Hand des Oberbürgermeisters ab. »Jetzt wird gesagt, was gesagt werden muss. Du hast dir die Martina geschnappt, jeder weiß, dass du sie dir geschnappt hast, und meine Enkelin, mein eigen Fleisch und Blut, ist so blöd, auf so einen alten Kerl wie dich reinzufallen! Alle finden das widerlich! Stimmt es nicht?« Er sah sich um. Die meisten Gäste blickten unter sich. »Jetzt gebt es halt zu! Und der Swoboda hat meinen Freund Willy auf dem Gewissen! Wegen dir hat der Ungureith sich aufgehängt! Du hast das Unglück über die ganze Stadt gebracht! Du hast mich und meine Familie beleidigt! Das ist der Dank! Das ist also der Dank! Der Dank dafür, dass ich dich und deine Mutter aufgenommen hab’ in meinem Haus 1947, dass ich euch durchgefüttert hab’, dass ich dir das Gymnasium bezahlt hab’ und das Studium, das ist der Dank! Ich bin wie ein Vater zu dir gewesen, und du, was machst du? Hängst mich hin! Wühlst in der Vergangenheit! Dass du dich nicht schämst!« Er hoffte auf Zustimmung. Keiner nickte. »Ihr habt doch alle euren Teil vom Kuchen geschnitten damals! Hätten wir’s verkommen lassen sollen? Ich habe mein ganzes Leben ehrlich gearbeitet. Und du? Spielst dich auf, der kleine Kriminaler spielt Großpolizei!« Dieses Wort hatte zuvor noch keiner der Anwesenden gehört, doch sie spürten, dass Sinzinger versuchte, Swoboda damit zu demütigen. Der ließ sich nicht provozieren. Martina senkte den Kopf und bedeckte ihn mit beiden Händen. Liesel Ungureith, die sich zu ihr gesetzt hatte, legte ihr den Arm um die Schulter. Swoboda behielt Sinzinger im Blick. »Wisst ihr, warum er das alles gemacht hat? Er profitiert! Er hat die Galerie geerbt, er kriegt die Mühle vom alten Gottfreund an der Mühr, er hat die Martina! Er ist reich geworden, der kleine Flüchtling, der alte Swoboda, und bald ist er noch reicher, denn irgendwann erbt die Martina auch das Hotel Korn und den Fischerwirt hier, dann gehört das alles dem Swoboda! Bloß deshalb war er so hinter meiner Vergangenheit her, kapiert ihr? Er hat unser Schicksal in der schweren Zeit und die ganze Polizei benutzt für seine Erbschleicherei!« Wieder sah er sich auf der Veranda um. Er atmete schwer. Er glaubte, dass die anderen ihn verstanden hatten. Aber sie starrten ihn fassungslos an oder wussten vor Peinlichkeit nicht, wo sie hinsehen sollten. Einzig der Ire saß mit hoch gespannter Aufmerksamkeit auf seinem Stuhl, ein Glas Wasser in den Händen, und versuchte, die Zusammenhänge in dieser Stadt zu begreifen. Obwohl ihm die Bezüge noch nicht ganz klar waren, begann sein Gehirn schon, mögliche Vorteile daraus zu errechnen. »Er hat so getan, als ob er Verbrechen aufklärt. Dabei hat er sich bloß bereichert! Ich hätte den kleinen Polacken mitsamt seiner dreckigen Mutter verrecken lassen sollen! Das wäre ein Segen gewesen für die Stadt!« Hier war es Swoboda genug. Er erhob sich von der Bank und erstaunlicherweise schwieg Sinzinger sofort. »Sie sind betrunken, Herr Sinzinger. Sie sind ein kranker alter Mann. Sonst säßen Sie längst im Gefängnis. Ich verdanke Ihnen wirklich viel. Und ich schäme mich dafür. Sie sind ein mehrfacher Mörder. Ein hinterhältiger, abscheulicher Verbrecher. Aber ich danke Ihnen für die Bezahlung meiner Ausbildung. Ich konnte mit Ihrem Geld nichts Besseres tun, als Ihnen zu zeigen, wie gut es angelegt war. Ich habe Sie überführt. Das war meine Aufgabe als Polizist. Als Privatmann verachte ich Sie. Ich kenne überhaupt niemanden, den ich so sehr verachte wie Sie.« Die Sätze kamen ruhig auf Sinzinger zu. Unter jedem Wort, das ihn

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