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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Café am Boulevard Pasteur und erzähle ihr auch nicht, was wir dort lesen. Zurzeit sind wir bei Epiktet und der Frage der Gelassenheit. Was der alte Kerl gesagt hat, gefällt mir. Montaigne hat auch viel von ihm gelernt. Aber jetzt rede ich und rede, und dabei muss ich zurück nach Paris. Wir sehen uns, ja?« Er zog eine Visitenkarte aus der äußeren Brusttasche seines Jacketts und reichte sie Swoboda. »Sie müssen uns besuchen, auch meine Frau würde sich sehr freuen. Und sie liest ihre Gedichte bestimmt nicht vor.« Swoboda wunderte sich, warum er die Vertraulichkeit dieses Mannes als angenehm empfand. Etwas mehr als Kollegialität hatte sich in diesen Stunden entwickelt. Fast so etwas wie Freundschaft. Swoboda verwendete den Begriff selten. »Ja, vielleicht, Martina war noch nie in Paris.« »Dass es das gibt!«, rief der Commissaire und zog seinen Trenchcoat an. »Lesen Sie Raymond Chandler?« »Keine Krimis. Nie.« »In einem seiner Romane heißt es am Schluss: Bullen nicht wiederzusehen, das hat noch keiner geschafft.« Swoboda musste lachen. Sie wandten sich gleichzeitig um und liefen zur Mole hinauf. Die Menschen, die oben hinter der niedrigen Mauer standen, starrten, ausgebrannt von ihrem Tag an der See, zum Meereshorizont, wo sich über dem verschwimmenden Grenzstreifen zwischen Wasser und Luft das Sonnenschauspiel vorbereitete. Viele hier würden es bis zum Schluss aushalten und den allmählich zur Ellipse verformten Feuerball auf seinem Weg in den Ozean verfolgen, bis der letzte Schnitz Glut verlosch. »Ehe ich es vergesse«, sagte Lecouteux, während er vorsichtig seine Schritte zwischen die runden Steine setzte, »kennen Sie einen gewissen Fettercairn?«
    Swoboda schüttelte den Kopf und lief voraus. »Fettercairn, Gavin«, wiederholte der Commissaire, »der Name sagt Ihnen nichts? Er war in dem Museum angestellt.« Swoboda blieb stehen, um Luft zu schöpfen. »In der Camera Obscura? Gavin! Richtig, das war der lustige Typ, der uns … Wieso war ?« »Er ist die Treppe im Turm runtergefallen und hat sich das Genick gebrochen. Er war ein Trinker. Erst vierzig. Man nimmt an, dass es ein Unfall war. Allerdings sind die Besucherzettel verschwunden, und das wirft Fragen auf.« »Wann war das?« »Am Abend nach dem Mord auf dem Parkplatz. Ich glaube natürlich nicht, dass da keiner nachgeholfen hat. Der Diebstahl der Zettel war übrigens für uns kein Verlust, Fettercairn hatte sie bereits in seinen Taschencomputer eingegeben. Leider haben die Kollegen in Edinburgh niemanden gewarnt, weil sie die ganze Sache als Alkoholunfall abgelegt haben. Auch die Adresse von Madame O’Hearn ist dem Täter in die Hände gefallen. Und eine anonymisierte E-Mail kunst_ [email protected], die wir allerdings von dem Galeristen-Server zurückverfolgen konnten bis zu einer gewissen Martina Matt.« Schweigend ging Swoboda weiter. Nach ein paar Schritten streckte er die Hand aus und legte sie auf das rote Eisengeländer der Molentreppe. »Wer noch?« »Ein Grieche. Simeon Lavrakis. Aus Panagia auf der Insel Thassos. Ein Maler übrigens. Wie wir feststellen konnten, erfreut er sich bester Gesundheit. Und ein Ehepaar aus Buenos Aires. Deutsch klingender Name. Elbenfeldt, glaube ich. Die sind wohl noch unterwegs, Weltreise vielleicht. Dann zwei Briten, drei Schotten, zwei Spanier, ein Kasache. Sämtlich bloß Mobiltelefonnummern mit der Bitte, im Gewinnfall per SMS benachrichtigt zu werden. Ansonsten gab es ungeschützte E-Mail-Adressen, die alle überprüft worden sind.« Swoboda sah aufs Meer hinaus. Er war froh darüber, dass sein Gedächtnis ihm das Gesicht von Gavin zurückbrachte, den weißen Schnauzbart, das grau melierte Haar, den Pferdeschwanz. Zugleich wurde ihm bewusst, dass er die Gefahr falsch eingeschätzt hatte. Er hätte Fettercairn warnen müssen. »Aber wer rechnet schon damit, dass der Täter am selben Tag zurückkommt, um sich die Adressen der Augenzeugen zu besorgen?« »Niemand konnte damit rechnen, machen Sie sich keine Vorwürfe«, sagte Lecouteux. »Ich hätte diesem weichen Knabengesicht eine solche kriminelle Entschlossenheit nicht zugetraut.« »In Physiognomien habe ich mich schon oft getäuscht. Und vielleicht war es bei dem Mord an Fettercairn ja ein Komplize.« Swoboda hatte noch immer den Drang, sich zu verteidigen. »Er ist nicht der Typ, der bedenkenlos mordet. Ich habe sein Gesicht gesehen. Und auch wenn ich es jetzt nicht mehr genau genug beschreiben könnte – eins weiß ich noch. Er hatte

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