Fest der Fliegen
bayerischen Mutter, sprach nicht nur ein ausgezeichnetes Deutsch, er kündigte auch an, das Anwesen, das seinen Bewohnern bisher kein Glück gebracht hatte, zum Zentrum seiner Stiftung machen zu wollen. Bonanima war eine Einrichtung, deren Zweck es war, Menschen zurück auf ihren Weg zu verhelfen, von dem sie abgekommen waren. Das Stadtoberhaupt konnte sich zwar nicht vorstellen, welcher Art diese Hilfe sein sollte, die in der Villa künftig gewährt oder verwaltet würde, doch Hilfe klang immer gut, und so stimmte er dem Fremden sofort zu, als der vorschlug, das Anwesen möglichst noch an diesem Tag zu besichtigen. Was sollte die Stadt sich mehr wünschen als einen kunstsinnigen Menschen, der begütert war und Gutes tun wollte. Überflüssig, die Stiftung zu prüfen, die offenbar europaweit tätig war. Endlich würde die Villa Staff, die südwestlich der Prannburg in einem Park lag, wieder einen guten Leumund erhalten, einem guten Zweck zugeführt und aus den düsteren Umkleidungen ihrer Geschichte befreit werden. Nicht ändern konnte man freilich ihre Adresse: Am Galgenberg 4. Aber kein Mensch in Zungen dachte, wenn er die Straße nannte, noch an die Geschichte des Hügels, auf dem die Villa mit ihren zwölf Zimmern Ende des 19. Jahrhunderts errichtet worden war. Nur wenige nannten sie noch Judenvilla, und wenn, hinter vorgehaltener Hand. Schon eine Woche nach Burtons Kaufangebot war der Zungener Stadtrat, mit der einen, sonst grundsätzlich abweichenden Stimme des Journalisten Philipp Teichmann von den Freien Wählern , einig gewesen, dass die Villa an Leicester Burton und Bonanima verkauft werden sollte. Erst nach der Unterzeichnung und notariellen Beglaubigung des Kaufvertrags rief Ehrlicher eines Abends bei Kriminalrat Jürgen Klantzammer an und fragte, ob man eventuell eine Auskunft bekommen könne bezüglich dieses neu in die Stadt gezogenen Iren. Immerhin sei Irland ja doch auch ein terrorhaltiges Land gewesen. Klantzammer, der mit seiner neunundsiebzigjährigen Mutter bescheiden in einer Wohnung in der Schwedengasse lebte und fünf afrikanische Patenkinder unterstützte, lachte nur. Selbstverständlich gebe es keine Möglichkeit, Personendaten eines unbescholtenen Bürgers der Europäischen Union einzuholen. Alles, was er tun könne, sei nachzusehen, ob das Europolregister Straftaten des Betreffenden enthalte, deretwegen er gesucht werde. Oder eine zur anhaltenden Bewährung ausgesetzte Strafe. Alles andere, so es denn etwa Verurteilungen, abgeleistete Gefängnis- oder Geldstrafen, verjährte Taten und dergleichen geben sollte, dürfe er dem Rathaus nicht mitteilen. Der Bürgermeister hätte eben vor Vertragsabschluss ein polizeiliches Führungszeugnis von Burton verlangen sollen. »Aber ich bitte Sie, Herr Klantzammer, wie hätte das denn ausgesehen!« »Ja, allerdings, das hätte vielleicht den ganzen Handel platzen lassen.«
Leicester Burton hatte nichts zu verbergen. Allenfalls im Finanzamt wären einige seiner Aktivitäten auf berechtigten Argwohn gestoßen. Er galt, soweit man das von einem Menschen nach einer gewissen Lebensstrecke sagen kann, als unschuldig. Jedenfalls nach Maßgabe seines polizeilichen Führungszeugnisses. Dabei hatte er es nicht immer leicht gehabt und mehrmals am Scheideweg gestanden, immer aber, wie man so sagt, die Kurve gekriegt. An Mariä Himmelfahrt, dem 15. August 1954, war er in Cobh, einem Hafenvorort von Cork im Süden der irischen Insel, zur Welt gekommen. Sein Vater, Cloudesley Burton, war damals achtundzwanzig Jahre alt und als Pferdepfleger in einem Herrenhaus auf dem Lande zwischen Cork und Cobh angestellt. Die Mutter war eine Deutsche, Johanna Nothdurft, aus Regensburg und zwei Jahre älter als der Vater. Die beiden hatten sich gewissermaßen über die Gottesmutter kennengelernt. 1950, im Heiligen Jahr, waren sie mit Pilgergruppen aus Cork und aus Regensburg nach Rom gekommen, um am 1. November auf dem Petersplatz zu vernehmen, wie Papst Pius XII. das Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Mariä verkündete.
»Munificentissimus deus.« Mit diesen Worten hatte der Papst seine apostolische Konstitution eingeleitet. Die eigene Unfehlbarkeit voraussetzend, hatte er sich auf Jesus Christus bezogen, auf die Apostel Petrus und Paulus: »Declaramus et definimus divinitus revelatum dogma esse.« Dann folgte vor der unübersehbaren Menge der Pilger aus aller Welt die Verkündigung des Dogmas: »Immaculatam Deiparam semper Virginem Mariam, expleto terrestris vitae cursu,
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